Dieser fast schon abgegriffene Diskursbegriff „Digitalisierung“ begegnet uns alltäglich, und auch der Film, so digital sein Antlitz nun schon geworden ist, digitalisiert und vernetzt sich in seiner Verfügbarkeit immer weiter. Oft fragen wir danach, wie sich das klassische Kino in Zeiten von Streamingdiensten á la Netflix und Co verändert: Wie damit umgehen? Hat das klassische Kino überhaupt noch eine Überlebenschance? Kann beides nebeneinander existieren? In der Diskussion ist viel Marktschreierei dabei. Ich denke nur an die Filmfestspiele in Cannes, die uns auch in diesem Jahr wieder einen Diskurs um Netflix bescheren. Klar, unter uns „Cineasten“ wird keiner so schnell die Wirkmacht der großen Leinwand im Kinosaal anzweifeln. Aber auch wir, die sogar noch ein Printmagazin wie dieses in den Händen halten wollen, streamen insgeheim wohl mehr Bewegtbild in unseren Wohnzimmern als ins Kino zu gehen. Doch fernab der Wirtschaftlichkeit von Film und Kino bleibt auch die Frage, wie sich unsere Sehgewohnheiten verändern, wenn wir alles ständig auf Abruf sehen können. Wie oft unterbrechen wir heute einen Film, weil wir ständig selber über Whatsapp und Co auf Abruf stehen? Haben wir heute noch die Konzentration und Geduld uns einen dreistündigen „Apocalypse Now“ in Gänze anzusehen, während die Streamingwelt uns schon mit den nächsten 10 Titeln lockt? Der digitalisierte und gestreamte Film macht es uns leicht ständig auszubrechen, statt uns einzulassen, und vielleicht können wir in unserem reizüberfluteten „Digital-Home-Cinema“ oft auch gar nicht mehr anders.
Wird Film dadurch immer mehr zu einem Fastfood-Artikel, der mal schnell angegessen und dann wieder weggelegt wird, wenn er nicht sofort mundet? Und wie verändert das die Industrie, in der insbesondere kurzweilige Serien boomen? Die Streamingplattformen suggerieren uns jedenfalls schon lange eine ständige Verfügbarkeit und einen Überfluss, der bloß „erklickt“ werden muss. Macht das Film auf Dauer nicht wertlos? Eben diesen Trend können wir zumindest seit den 2000er Jahren im Musikkonsum beobachten. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als Film noch ausnahmslos physikalisch auf VHS oder DVD gespeichert wurde und es etwas Besonderes war, wenn man endlich einen „Halloween“ auf VHS ergattern konnte. Einen Film zu finden und zu sehen war etwas Besonderes und man nahm sich die Zeit, sie zu suchen. Doch die Videotheken sind schon lange verschwunden, Film wandert immer mehr in die alles absorbierende Cloud und in naher Zukunft wird man Film gar nicht mehr physikalisch gespeichert kennen.
Nennt mich altmodisch, aber ich empfinde das als Verlust! Doch ich glaube, dass dem Kino daher heute nochmal eine wichtige Bedeutung zukommt. Denn der Präsenz des Films kann man sich im Kino nicht so ohne Weiteres entziehen, wie es auf dem heimischen Sofa möglich ist. Auch unsere vielfältigen Filmfestivals tragen dazu bei, indem sie Filme auf die Leinwand holen, die im Internet als Stream gar nicht verfügbar sind. Damit ist Kino immer noch ein einmaliger Ort, in dem ein Film genau in diesem jenen Augenblick auf der Leinwand existiert und etwas Besonderes bleibt.
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