Bochum, 28. Oktober – Roni will dorthin, von wo jeder fort will: Nach Aleppo, das bis heute umkämpfte Herz des syrischen Bürgerkriegs. Aus Deutschland hat er sich auf den Weg gemacht in seine Heimat, auf der Suche nach seiner Mutter, die – vielleicht – irgendwie überlebt hat, zwischen Bombenhagel und Blutvergießen. „Wer keine Pässe hat, muss aussteigen. Ich hole euch auf der anderen Seite des Hügels ab“, sagt der Busfahrer an der türkisch-syrischen Grenze. Doch das wird nicht geschehen: Alle Insassen fallen einem Massaker zum Opfer, doch Roni setzt seinen „Weg nach Aleppo“ – so der Titel von Shiar Abdis Film – unbeirrt fort; im Geiste begleitet vom fassungslosen Publikum im Endstation Kino, das das Werk des kurdisch-stämmigen Regisseurs noch vor Kinostart bestaunen durfte.
Roni war auch dabei – natürlich nicht die Filmfigur, sondern sein Namensvetter und Darsteller Roni Shamilian. Es ist nicht seine Geschichte, die der Film erzählt, aber: „Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, muss ich weinen“, bekennt der Schauspieler mit kurdischen Wurzeln. „Es ist Krieg. Und der Krieg macht alles kaputt.“
Rührend ist der Film tatsächlich, aber auch erschreckend: Eine ständige Unsicherheit begleitet Roni und seine Gefährtin, die Bloggerin Nora, auf ihrer Reise von Kobane nach Aleppo. Auch wenn Roni und Nora auf ihrem Moped durch die saftig-grünen Wiesen Syriens fahren, wie in einem romantischen Road-Movie – nur um dann den Truppen des Assad-Regimes in die Hände zu fallen. Filmemacher Abdi schreckt auch vor der Darstelllung von Folter nicht zurück: Kaltes Wasser, Faustschläge und Elektroschocks sind nicht schön anzusehen, vielmehr eine Zumutung für den Zuschauer – aber auch ein notwendiger Denkzettel für alle, die den gelernten Augenarzt und praktizierenden Diktator Assad für einen Verhandlungspartner halten. In dieser Hinsicht bezieht der Film eindeutig Stellung.
Über Politik wollte Roni Shamilian an diesem Abend nicht reden – auf Nachfragen aus dem Publikum setzte er doch schließlich ein Statement: „Es ist kein syrischer Krieg mehr“, sagt er: „Ich denke, es sind andere Länder, die Schach spielen in Syrien.“ Ein Syrer im Publikum bedankt sich bei Roni für den „sehr emotionalen Film“ und junge arabische Frauen lassen sich nach Film und Filmgespräch mit dem Schauspieler fotografieren. Es scheint, als hätten Shiar Abdi und sein Team einen Nerv getroffen.
Dabei ging es Abdi hauptsächlich darum, noch einmal einen Film in seiner Heimatstadt Kobane zu drehen, bevor sie dem Krieg zum Opfer fällt, berichtet Roni Shamilian. Zwei Monate vor dem restlichen Filmteam reiste der Regisseur illegal nach Syrien ein, traf alle notwendigen Vorbereitungen und durfte sich auch über reichlich Unterstützung durch die Anwohner freuen. „Viele haben als Statisten mitgespielt und auch eigene Ideen mit eingebracht“, erzählt Jihad Kinno. Der Regisseur, der Shiar Abdi bei „Der Weg nach Aleppo“ assistiert hat, war an diesem Abend auch zu Gast im endstation.kino. Selbst Rijam Ibrahim, die weibliche Hauptdarstellerin, hat Abdi in Syrien gecastet. Die Hobby-Schauspielerin brilliert in ihrer Rolle als Bloggerin Nora, doch ob sie viel davon hat, sei dahingestelt: Auch sie ist inzwischen auf der Flucht. Seines Wissens nach in der Türkei, wie Roni Shamilian berichtet.
Doch einer wagt auch jetzt wieder den Weg ins Kriegsgebiet, nicht mit Maschinengewehr und Handgranaten bewaffnet, sondern mit Filmkamera und einer Vision: Shiar Abdi dreht zur Zeit wieder in Kobane. Für seinen nächsten Film möchte er zeigen, was von den Kulissen aus Kobane noch übrig geblieben ist – und was aus seinen zahlreichen Helfern, Statisten und Nebendarstellern geworden ist. Den deutschen Kinostart von „Der Weg nach Aleppo“ im Januar wird der Regisseur wohl verpassen – vielleicht wird der Film aber auch noch in arabischen Ländern gezeigt. Das sei noch nicht sicher, sagt Roni Shamilian. Er würde es sich aber wünschen.
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