 
		Ich muss gestehen, dass ich immer, wenn ich am Bochumer Hauptbahnhof bin, einmal vor die Türen und Schaufenster des Metropolis-Kinos gucken muss. Es ist einfach schön, dass es dieses wunderbare Einzelhaus, das am 6.7.1957 als 14. westdeutsches Bali-Nonstop-Kino sein Leben begann, noch gibt.
Das Kassenhäuschen, die Aushänge, die Treppe, der Saal – Alles erinnert an die große Kinozeit. Das 65 Jahre alte Haus hat bereits mehrere Leben gelebt, sprich einige Moden und Krisen überstanden. Bis 1982 spielte es, auch als Antwort auf die schwere Kinokrise der 1960er Jahre, einfache Unterhaltungsware praktisch rund um die Uhr – Abenteuerfilme, Krimis, Western, Kung-Fu- und Godzilla-Actioner, Sexkomödien. Alle drei oder vier Tage wechselte der Film.
Reisende lösten eine Karte, während sie auf den Anschlusszug warteten, und stiegen zu einem beliebigen Zeitpunkt in die Handlung ein. Selbst wenn beim Krimi gerade der Täter präsentiert wurde und der Film in wenigen Augenblicken endete, blieb man sitzen und wartete, bis er wenige Minuten später wieder von vorne losging. Auf den Treppen herrschte ein ständiges Rauf und Runter. Auch ein männliches Einzelgänger-Publikum, das sich am Bahnhof ohne Reiseabsichten herumdrückte, zählte zur Stammkundschaft.
Nach dem Ende des Bali wurde aus dem Haus das Metropolis – und es stellte sein Programm 1985 fast komplett auf Filmkunst um. Zusammen mit dem Casablanca wurde das Ein-Saal-Theater zu einem Verfechter des modernen Arthouse-Kinos mit Allen, Almodovar, Campion, Tarantino. Das Programm wechselte nun einmal in der Woche, täglich gab es zwei bis drei Vorstellungen mit speziellen Wochenend- und VHS-Screenings. Jetzt, nach den ersten Wellen der Corona-Pandemie, hat der langjährige Betreiber Michael Meyer eine neue, dritte Stufe für sein Kino gezündet – und sie ist ebenso atemberaubend wie mutig.
Seit letztem Herbst spielt das unter Denkmalschutz stehende Kino jeden Tag einen anderen Film – meist nur noch in der Abendvorstellung um 19.30 Uhr. Und was hier nun das Licht der Leinwand erblickt, kann in altem Bahnhofskino-Sprech wirklich als „Reise um die Welt“ bezeichnet werden. Neben aktuellen Arthouse-Filmen kommen jeweils für einen Abend Klassiker wie „Casablanca“, „Night on Earth“, Filme mit Vincent Price, Audrey Hepburn oder James Dean, „The Big Lebowski“ oder „Der Profi“ zurück in den Bahnhof.
Einige Filme sind für das Haus tatsächlich alte Bekannte, andere aber auch echte Premieren. Das Programm ist so unberechenbar, dass man gar nicht umhin kommt, sich darüber zu informieren. Denn wer wollte nicht noch einmal „Scarface“ oder „Der Teufel mit der weißen Weste“ oder auch „Zombie“ dort sehen, wo sie im Grunde geboren wurden?! Hier, im Bahnhof Bochum, ist plötzlich wieder alles möglich. Vielleicht liegt genau in dieser Unberechenbarkeit der Schlüssel für die Zukunft des Kinos.
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