Kuschelig war es – und zwar in allen Locations des 5. Dortmunder Tresen-Filmfestivals, das auch dieses Jahr wieder sehr gut besucht war. Die Filmauswahl hatte dabei wieder einiges zu bieten; animierte Kürzestfilme, Mockumentarys, Spielfilme, die unter anderem vom täglichen Leid eines Hamsters („Bob"), pubertären Stimmungsschwankungen („Alienation") und einer Amelié-haften Reise hinter verschlossene Türen im „Hotel Metamorphosis" erzählen.
Eine eher verstörende Metamorphose wird hingegen im Dokumentarfilm „Leavenworth, WA" von Hannes Lang dargestellt, in dem eine amerikanische Kleinstadt zum bayrischen Dorf mutiert, um den Tourismus anzukurbeln. Hier entsteht eine spezifisch deutsche Filmerfahrung zwischen Lachen, wenn von einer „cosmopolitan atmosphere" und einer authentisch deutschen Kulturerfahrung zwischen Lederhosen und Weißwurst gesprochen wird, und Schmunzeln, als jüngere Einwohner von Leavenworth offenbaren: „We have no culture – so we took someone else's". Nachdenklich stimmte auch der Spielfilm „Dedowtschina" von Maxim Kuphal-Potapenko. Dieser thematisiert die gängige Praxis in der russischen Armee, Wehrpflichtige durch körperliche und seelische Misshandlungen systematisch zu schikanieren und zu brechen, am Beispiel von Kolja, der nach Deutschland zu seiner Schwester flieht. Ohne Aufenthaltsgenehmigung kann diese ihn jedoch auch nicht beschützen.

Diese und viele weitere Highlights waren in der Woche vom 15. bis 19.6. in fünf verschiedenen Kneipen in Dortmund zu sehen – zum Beispiel unter Deck des Herr Walter, im Kino des Sissikingkong oder in allen Räumen der Großmarktschänke, wo sogar ganz raucherfreundlich unter gewitterwolkenverhangenem Himmel ein Bildschirm aufgestellt wurde. Jeder Film wurde dabei vom Publikum mit einer Schulnote bewertet, sodass der Sieger des „Goldenen Bierdeckels" ganz demokratisch von einer riesigen cinephilen Jury bestimmt wurde.
Der Gewinner war „Herman the German" von Michael Binz über den dienstältesten Bombenentschärfer Deutschlands, der von seiner Ärztin (nett: Anke Engelke) mit dem ominösen Kahnawake-Syndrom diagnostiziert wird. Dieses äußert sich darin, dass er bei der Arbeit häufiger Blackouts bekommt. Die Lösung ist laut einer Fachärztin die Suche nach seiner Zentralangst, um wieder (Ehr)Furcht bei der Arbeit mit der weit verbreiteten Fliegerbombe zu empfinden. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, außer: zum Ende des Films wird Herman wieder glücklich.
Trotzdem fragt frau sich, was geschehen wäre, wenn die ebenfalls gezeigten Beiträge der WDR-Lokalzeit – wie zum Beispiel „Smogalarm in Dortmund" (1985) oder „Der Bunkertest" (60er Jahre) ebenfalls am Wettbewerb hätten teilnehmen dürfen – die waren nämlich gut gewählt, äußerst amüsant und eine perfekte Ergänzung zu einem echten Dortmunder Filmabend.
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