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Das Filmteam und Autor Frank Goosen vor der Premiere in Bochum
Fotos: Maxi Braun

Menschenerkenntnis

22. Juni 2017

Premiere der Frank Goosen-Verfilmung „Sommerfest“ am 21.6. im Casablanca und Union in Bochum – Foyer 07/17

Bochum, 21. Juni: Am längsten Tag des Jahres drängeln sich bei perfektem Sommerwetter viele Menschen durch das Bochumer Bermudadreieck. Wo andere Premieren die Stargäste auf dem roten Teppich abschirmen, herrscht vor dem Casablanca und dem Union-Kino reges Gewusel. Die Weltpremiere von Sönke Wortmanns neuem Film „Sommerfest“, nach einem Roman des Bochumer Urgesteins Frank Goosen, findet aufgrund des großen Andrangs zeitgleich in den zwei gegenüberliegenden Kinos statt.

Publikum, Filmschaffende und Feierwütige auf dem Weg in die nächste Kneipe sind kaum auseinander zu halten. Goosen selbst schlendert fast unauffällig vorbei und berichtet kurz, dass er sehr zufrieden mit der Verfilmung sei, die den Ton des Buches auf den Punkt treffe. Hauptdarsteller Lucas Gregorowicz, seit seinem Durchbruch mit der Kifferkomödie „Lammbock“ 2001 gut gealtert, kommt mit Anna Bederke, die im Film seine Jugendliebe spielt. Bederke stammt nicht aus dem Pott, habe sich aber beim Dreh in Bochum sofort „eingemeindet gefühlt“ und findet, dass die Betriebstemperatur ihrer Heimat Hamburg durchaus mit der des Ruhrgebiets vergleichbar sei.

Auch Stefan Arndt (X Filme Creative Pool), Tom Spieß (Little Shark Entertainment), Dr. Barbara Buhl (WDR) und Manuela Stehr (X Verleih) sind gekommen, um die Premiere zu feiern. Allein Regisseur Sönke Wortmann ist sichtlich nervös. Verständlich, denn das Ruhrgebiet ist für seine bisweilen distanzlose Offenheit bekannt. Was dem Publikum nicht schmeckt, wird hier auch nicht gefressen. Die Premiere in der Stadt, in der „Sommerfest“ hauptsächlich spielt und wo neben Köln und Hagen auch gedreht wurde, ist eine echte Feuertaufe.

Die Säle im Casablanca und im Union sind ausverkauft, die Mehrheit der ZuschauerInnen kommt von hier. Das zeigen die kollektiven Reaktionen, wenn bekannte Wahrzeichen der Region ins Bild kommen: Bismarck-Turm, A40, Schauspielhaus, Kemnader See. Andere archetypische Orte wie Bolzplatz, Dönerbude, Schrebergarten, Eckkneipe oder Trinkhalle könnten überall von Duisburg bis Dortmund existieren. Im Film kommt Stefan (Lucas Gregorowicz) in seine Heimat Bochum zurück, um seinen Vater zu beerdigen und dessen Zechenhaus zu verkaufen. Nach 15 Jahren im Münchener Exil als mäßig erfolgreicher Theaterschauspieler hat sich im Pott aber nicht viel verändert. Der Dialekt, der Stau, der Strukturwandel und das Gejammer darüber, holen Stefan genauso ein wie seine alten Freunde und Jugendliebe Charlie (Anna Bederke).

Wortmann zeichnet liebevoll eine Welt, die rund auf schwarz-weißes Schweinsleder gezogen ist, als Putz von maroden Gladbecker Wänden bröckelt, umrahmt von Gelsenkirchener Barock, vor dem Panorama stillgelegter Fördertürme. Vor zuviel Ruhrgebietsromantik bewahren „Sommerfest“ die Figuren. Nicht wirklich herzlich, aber immer offen und hilfsbereit, außen Assi, innen ein Herz aus geschmolzenem Stahl. Archetypen zwar, ein bisschen überzeichnet, aber in ihrer Schnoddrigkeit authentisch. Manche der zahlreichen Nebendarsteller sind keine Schauspieler, so wie Görkem Sağlam, der Fußballhoffnung Murat gibt und tatsächlich beim VfL unter Vertrag ist und in der U-18-Nationalmannschaft spielt. Oder Elfriede Fey, Zapfhauslegende und Wirtin des Hauses Fey, im Film Kioskbetreiberin Omma Änne.

Fast alle der DarstellerInnen stammen aus der Region: Dortmund, Wattenscheid, Mülheim, Duisburg, Wanne-Eickel, Lüdenscheid oder eben Bochum. Sie sind auch vor Ort und werden von dem erleichterten Sönke Wortmann nach dem Abspann auf die Bühne gebeten. Darunter auch Publikumsliebling Elfriede Fey, mit 76 Jahren die wohl älteste Schauspieldebütantin. Wortmanns Frage „Wie geht’s?“ beantwortet sie typisch mit „Och, muss ne? Ich schlängel mich so durch“. Als sie sich für die tolle Erfahrung beim Dreh bedankt, von der sie „noch lange zehren!“ werde, bricht auch bei Wortmann, in Marl geboren und selbst ein Kind des Ruhrgebiets, dieser spezielle Pottcharme durch, als er prompt „Hoffentlich!“ erwidert.

Bevor Hauptdarsteller Lucas Gregorowicz auf die Bühne sprintet, gesellt sich sein Vater Robert zu den Filmschaffenden. Er spielt im Film auch Stefans Vater– bzw. dessen Leiche. Gregorowicz habe ihm das verboten, weil er es zu morbide fand und „rächt“ sich mit einem spontanen Geburtstagsständchen, in das alle Anwesenden kehlig und ungehemmt einstimmen. Das Revier kennt da keine Hemmungen.

Vor den Kinos im Bermudadreieck dämmert es bereits. ZuschauerInnen und Filmschaffende mischen sich draußen in der Menge. Mit dem „Sommerfest“-Bändchen am Arm gibt es eine Currywurst oder ein Fiege-Pils, alle unterhalten sich über den Film oder Fußball. Ein Pärchen um die 30 – beide Goosen-Fans, er gebürtiger Bochumer, sie wird lachend aber bestimmt als „Zugezogene“ vorgestellt – zeigt sich zufrieden mit der Adaption. „Das Stillleben hat zwar gefehlt und das A40-Gedicht hätte man ruhig ganz zitieren können, aber ansonsten sehr schön“.

Drinnen feiert Sönke Wortmann schon mal, Anna Bederke und Frank Goosen sprechen draußen noch mit Freunden und Fans, ab und zu wird um ein gemeinsames Foto gebeten. Eine Gruppe Männer beobachtet das und fragt skeptisch im härtesten Pottslang „Und wat für einen Star soll ich da jetzt sehen?“ Nach Aufzählung der Namen gucken sie einander ratlos an. „Müssen wa die kennen?“. Wäre Lucas Gregorowicz in der Nähe, würde er gemäß dem Running Gag des Films antworten „Ne, musse nich“.

Maxi Braun

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