Freitag, 25. September: Ursprünglich sollte die Weltpremiere von Oskar Roehlers Rainer-Werner-Fassbinder-Biopic „Enfant terrible“ im Programm der Filmfestspiele von Cannes 2020 stattfinden, in dessen offizielle Auswahl er geladen war. Nachdem das A-Festival Corona-bedingt abgesagt wurde, fand die Uraufführung des Films nun als Auftakt des Hamburger Filmfestes statt. Tags darauf erlebte „Enfant terrible“ in der Essener Lichtburg seine NRW-Premiere, denn ein Großteil des Films war in Nordrhein-Westfalen gedreht worden, u.a. in den Kölner MMC-Studios. Weltkino-Verleihchef Dietmar Güntsche freute sich über die zahlreich erschienen und mit Abstand im großen Saal des Traditionskinos platzierten Premierengäste und erläuterte vor der Projektion: „Es ist unglaublich wichtig, dass Menschen Kulturstätten und Kinos in diesen Tagen wieder als sichere Orte wahrnehmen.“ Für Produzent Markus Zimmer von der Bavaria-Filmproduktion war es nicht die erste Premiere in Essen, und er schätzte sich zum einen glücklich, wieder mit „dem großen Ausnahmeregisseur in Deutschland, Oskar Roehler“ zusammengearbeitet zu haben, und dabei insbesondere von der Film- und Medienstiftung NRW und dem WDR unter Leitung von Redakteurin Andrea Hanke majoritär unterstützt worden zu sein.
Dem konnte sich dann auch Roehler selbst nur anschließen, zumal er insgesamt acht Jahre mit dem Fassbinder-Projekt beschäftigt gewesen sei, und es sehr ungewöhnlich gewesen wäre, dass die beiden NRW-Unterstützer ihm über all diese Zeit die Treue gehalten hätten. Beim anschließenden Bühnengespräch, das Marek Bringezu vom Weltkino-Verleih moderierte, rekapitulierte Oskar Roehler, dass er im Produktionsprozess zwei wesentliche Entscheidungen gefällt hätte: „A war die Entscheidung, einen künstlichen Studiofilm zu machen, und B war die egoistische Entscheidung, mit meinem hoch verehrten und guten, besten Freund Oliver Masucci wieder einen Film zu machen.“ Ohne seinen jetzigen Hauptdarsteller wollte Roehler diesen Film auf keinen Fall drehen, doch mit seiner Wahl sei er anfangs lediglich auf Skepsis und Ablehnung gestoßen, „weil Oliver eben keine 25 Jahre mehr ist“. Außerdem war es dem Regisseur wichtig gewesen, seine Zuschauer in eine andere Welt zu entführen anstatt ihm ein möglichst dokumentarisches Abbild von dessen eigener Lebensrealität zu präsentieren. Dafür wählte Roehler einen Zugang über Licht, Schatten, extreme Farben, Erotik und Atmosphäre. „Ich wollte die Leute entführen und in ein Faszinosum bringen, und das konnte ich nur mit Masucci und einigen anderen Darstellern, die ich mag und die ich verehre“, ergänzte der Filmemacher.
Der kongenial besetzte Oliver Masucci in der ikonografischen Rolle des „Enfant terrible“ Rainer Werner Fassbinder kommentierte auf der Bühne der Lichtburg, dass es ungefähr ein halbes Jahr gedauert habe, bis er in die Körperlichkeit seiner Figur hineingefunden habe – und für die er sich darüber hinaus einige zusätzliche Pfunde „anfressen“ musste. „Dann war es wahnsinnig anstrengend, diesen Mann zu spielen – und ich hatte auch wahnsinnig Respekt davor. Ich hoffe aber, dass es uns gelungen ist, dass man am Ende in gewissen Szenen mit diesem Menschen mitleidet“, so Oliver Masucci. Beim Dreh seien Momente entstanden, die beim Schauspieler hängengeblieben sind, und die Masucci nach eigener Aussage vermutlich sein restliches Leben erinnern werde. Auch der ebenfalls anwesende Fernsehmoderator und Schauspieler Jochen Schropp war für den Film in eine Figur geschlüpft, die auf einem authentischen Vorbild beruhte. Schropp spielt Armin Meier, der nicht nur bei einem knappen Dutzend von Fassbinders Produktionen mit dabei war, sondern auch einige Jahre mit diesem liiert war, und sich aus Liebeskummer mit 35 Jahren das Leben nahm. Deswegen hat Jochen Schropp sich als Vorbereitung auf die Rolle im Vorfeld intensiv mit Meiers Leben auseinandergesetzt: „Es ist natürlich nur ein Ausschnitt aus Armins Leben, der in seiner Kindheit und Jugend so viel durchmachen musste und sich so sehr gesehnt hatte nach einer großen Liebe und einer Familie, die er dann rund um Fassbinder auch gefunden hatte, obwohl das dann tragisch enden musste. Damit habe ich mich intensiv beschäftigt, und für die Details musste ich dann aus mir schöpfen, was ich an Leid kannte.“ Die weitere Kinotour führt Roehler nun nach München und Berlin, bevor „Enfant terrible“ am 1. Oktober bundesweit in 90 Kinos anlaufen wird.
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