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Sobo Swobodnik, Lena Morgenroth, Gisela Zohren (v.l.n.r.)
Fotos: Betty Schiel

Sex und Arbeit

08. März 2016

Filmvorführung von „SEXarbeiterin“ im sweetSixteen mit Debatte über Prostitution – Foyer 03/16

Dortmund, 7. März – Einen riesengroßer Publikumsandrang herrschte im sweetSixteen-Kino. Selbst maximale Sonderbestuhlung reichte nicht aus, um alle interessierten ZuschauerInnen unterzubringen, die gekommen waren, um den Dokumentarfilm „SEXarbeiterin“ zu sehen und die Protagonistin live im Gespräch zu erleben. Die Sexarbeiterin Lena Morgenroth zählt spätestens seit einem TV-Auftritt bei Günther Jauch derzeit zu den berühmtesten Frauen ihrer Branche. Dort war sie auch Sobo Swobodnik aufgefallen, erzählt der Filmemacher in der ausführlichen Diskussion nach dem Film. Er empfand ihr selbstbewusstes Outing vor einem Millionen-Publikum „als feministische Großtat“ und fragte sie für ein Filmprojekt an.

Das Porträt folgt Lena Morgenroth durch ihren Alltag. Konsequent wechseln die Einstellungen in der Montage gleichwertig zwischen den Massage- und Sex-Sessions mit ihren KundInnen und banalen Tätigkeiten wie Frühstücken, U-Bahn-Fahren, Steuererklärung machen, telefonisch Termine abstimmen. Die attraktive junge Frau ist sportlich, intelligent, selbstbestimmt. Mit der Ordnungsliebe einer schwäbischen Hausfrau bereitet sie den Raum vor und führt Buch über die Vorlieben ihrer Gäste. Wir erleben sie auch in der Diskussion als wortgewandte politische Aktivistin. Damit ist sie der lebendige Beweis für die „Vielfältigkeit der Branche“, über die sie viel redet.

In elegantem schwarz/weiß gefilmt, wirkt in dem Film nichts schmuddelig, in dem gut durchorganisierten Betrieb ist der Arbeitsablauf und Alltag geradezu bürgerlich. Eine Porno-Ästhetik wollte Swobodnik unbedingt vermeiden: „Es musste schön aussehen, weil wir es so wahrgenommen haben, dass sie das, was sie macht als schön und angenehm empfindet“, so der Regisseur. Und weil genau diese Art der Sexarbeit medial nicht vorkommt, habe es ihn gereizt, das Thema anzugehen. Morgenroth räsoniert, was Freiwilligkeit im Beruf grundsätzlich bedeutet und in der Sexarbeit im Speziellen. „Ich würde auch nicht gern Grundschullehrerin werden.“, bringt ihr einige Lacher ein. Ihr Credo: Sexualität generell zu entmystifizieren und Prostitution als Dienstleistung zu verstehen, die man anbieten kann, wenn es einem liegt. Prägend sei mit dem Beginn ihrer Tätigkeit für sie die Erfahrung gewesen, auf einmal nicht mehr ernst genommen zu werden.

Der Filmabend lief in Kooperation mit der Dortmunder Mitternachtsmission, die dafür sorgte, dass auch auf dem Panel das sogenannte „Dortmunder Modell“ praktiziert wurde: Neben VertreterInnen der Polizei und des Ordnungsamtes zogen Andrea Hitzke und Gisela Zohren von der Mitternachtsmission die Verbindung zur lokalen Situation. Das Dortmunder Modell beinhaltet nämlich seit Jahren die enge Zusammenarbeit aller Akteure vom Ordnungsamt bis zum Bordell-Betreiber. Man sei im konstanten Austausch miteinander, und auch wenn jede Seite ihre Sicht der Dinge hat, sei die Kommunikation von Akzeptanz geprägt, erklärt Heike Tasillo vom Ordnungsamt. Dirk Becker von der Dortmunder Polizei bekräftigt die Strategie, Prostitution nicht zu verhindern, sondern die damit in Beziehung stehenden Straftaten zu bekämpfen. Man sei bemüht, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Prostituierten und Club-Besitzern aufzubauen, schwarze Schafe zu identifizieren und ganz banal belastbare Auskünfte zu liefern, was legal ist und welche Bedingungen die Bordelle erfüllen müssen.

Das neue Prostitutionsgesetz, das von der Bundesregierung voraussichtlich im Frühjahr mit vorgesehenen Meldepflichten in Kraft tritt, wurde von allen DiskutantInnen eher als Kontroll- denn als Schutzgesetz für die SexarbeiterInnen wahrgenommen, auch wenn es durchaus Regelbedarf gebe. Andrea Hitzke bekräftigt, dass die Spanne im Bereich Sexarbeit sehr weit gefächert sei von der selbstständig Erfolgreichen à la Lena Morgenroth bis zur Ausbeutung im Menschhandel, mit einem sehr großen Mittelfeld. Es sei wichtig, diese unterschiedlichen Modelle in der politischen Diskussion zu trennen, um allen Seiten gerecht zu werden. Zu ihrer Beratungsstelle kämen naturgemäß Frauen mit Informationsbedarf oder Problemen. Manche befinden sich in Notlagen. Auch Hilfe zum Ausstieg und Opferschutz sind Teil dieser Arbeit.

Von den ZuschauerInnen wurde die sachlich geführte Debatte, moderiert von Bastian Pütter, als gelungenes Beispiel einer Enttabuisierung von Prostitution wahrgenommen, bis hin zum Vorschlag, „SEXarbeiterin“ als Aufklärungsfilm in Schulen einzusetzen.

Betty Schiel

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