trailer: Herr Druyen, Sie sind einer der bekanntesten Reichtums- und Vermögensforscher im deutschsprachigen Raum. Was erforschen Sie?
Thomas Druyen: Ich habe im Jahre 2004 eine neue Vermögenskulturforschung etabliert und dazu später auch ein universitäres Institut gegründet. Diese Forschung ist nach wie vor relativ singulär.
Im Kern geht es dabei um die Erforschung von Multimillionären und Milliardären: Einerseits um die Auswirkungen dieser riesigen Vermögen auf die Psyche und anderseits um Fragen der philanthropischen Bereitschaft, der persönlichen Sinnstiftung und der Übernahme von Verantwortung. Vermögen wird in diesem Zusammenhang als Fähigkeit, als Gestaltungsoption und als moralische Verpflichtung verstanden. Aus diesem Ansatz heraus habe ich dann auch eine Vermögenspsychologie entwickelt. Also Reichtums- und Vermögensforschung unterscheiden sich sehr.
Was unterscheidet Reiche und Vermögende? Welche Rolle spielen sie in der Krise?
Reiche kümmern sich nur um sich selbst, Vermögende eben auch um andere. In dieser Zeit wurde Solidarität zur Lebensrettung. Diese Botschaft sollte jetzt in allen Milieus verstanden und lebendig umgesetzt werden.
Die Coronakrise trifft alle. Aber besonders Selbstständige und kleinere Unternehmen bangen um ihre Existenz. Was folgt daraus?
Die Corona-Pandemie legt gnadenlos Schwächen und Stärken von Gesellschaften offen. Wenn sie nicht Opfer hervorrufen und ohnehin Benachteiligte treffen würde, wäre sie ein Segen. Zum Beispiel zeigt sie eindrücklich, wie in Deutschland in Unternehmen und im Schulsystem die Digitalisierung verschlafen wurde. Grundsätzlich gefährdet der Shutdown all diejenigen, die gesundheitlich vorher beeinträchtig waren, die sich bereits unternehmerisch oder beruflich in einer Schieflage befanden oder die keine Existenzpuffer zur Verfügung haben. Diese Erkenntnisse müssen Folgen haben, denn wir wissen ja jetzt, wo wir den Hebel zur Verbesserung unserer Verhältnisse ansetzen können.
Familienunternehmen verdanken Reichtum oft relativ krisensicheren, vererbten Produktionsgütern. Ist es Zeit, die Debatte über Erbschafts- oder „Reichensteuer“ voranzubringen?
In extremen Krisen sollte man tunlichst aufpassen, die gesellschaftlichen Gruppen nicht weiter aufzuhetzen. Bis jetzt scheint ja unser System in Deutschland extrem gut zu funktionieren und auch fast alle Bürger:innen adäquat zu berücksichtigen. Die Gerechtigkeitsdebatte sollte im Anschluss geführt werden. Da gibt es aber für mich nur zwei zielführende Prioritäten: ein vernünftiges Bürgergeld und gerechte Steuern.
Sie kritisieren in der Vermögensdebatte den Neid der Deutschen. Es gibt aber Gerechtigkeitsempfinden jenseits von Neid. Ist die sachliche Debatte über soziale Ungleichheiten zielführender?
Gerade in den ersten sechs Wochen der Pandemie haben wir viel mehr Solidarität wahrgenommen als Neid oder Verunglimpfung. Das ist ein gutes Zeichen. Selbstverständlich ist das Thema Ungleichheit absolut zentral für unsere Zukunftsgestaltung. Wir sollten uns aber mehr mit konkreten Lösungen und Projekten beschäftigen: Wie Sie sagen, sachlich. Aber das ist schwer, denn Ungleichheit ist fundamental emotional besetzt.
Konzernführer:innen stehen die Türen von Politiker:innen zum persönlichen Gespräch offen. Ist das demokratisch?
Meistens haben auf höheren Ebenen jene leichteren Zugang, die über viele Arbeitsplätze verfügen. Aber in den lokalen und regionalen Bereichen stehen die Türen der Politiker:innen dennoch offen. Es liegt ja in deren eigenem Interesse wahr- und in Anspruch genommen zu werden. In Zeiten der sozialen Medien kann man sich Gehör verschaffen. Ob und wie das wirkt, hat viele Bedingungen.
Welche psychologischen Folgen hat die Krise?
Es gibt sicher mehr als achtzig Millionen Auswirkungen auf unser Land und unsere Leute. Wichtig ist es nun, ob man zurück zur alten Normalität will oder die Lehren und Botschaften dieser Extremsituation für sich erkannt hat. Bin ich digital richtig aufgestellt? Kann ich meinen Beruf oder meine Tätigkeit attraktiver, effizienter und nutzenstiftend verbessern? Wie kann es gelingen,materielle Rücklagen für Katastrophen zu bilden? Kann man Gemeinschaften bilden, die sich in solchen Situationen helfend unter die Arme greifen? Die psychologische Resonanz ist immer eng verzahnt mit den jeweiligen Lebensverhältnissen. Wut, Enttäuschung, Angst und andere Gefühle kann man am besten angehen, wenn die Person etwas ändert oder verbessert, dass sie selbst beeinflussen kann. Daher stellt sich uns allen nun die Frage: was machen wir mit und nach Corona?
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Aktiv im Thema
www.sozialberichte.nrw.de | Das Arbeitsministerium publiziert hier NRW-Sozialberichte (zuletzt 2016) und verlinkt zu kommunalen Erfassungen.
www.armuts-und-reichtumsbericht.de | Die vom Bundesarbeitsministerium betriebene Seite enthält den vollständigen Bericht und Grafiken zu einzelnen Aspekten.
makronom.de/argument/vermoegensteuer | Das Debatten-Magazin für Wirtschaftspolitik führt Argumente für und gegen die Vermögenssteuer auf.
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