Schon jetzt legendär sind die Worte von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der im Zuge der wirtschaftlichen Herausforderungen durch Corona die „Bazooka“ auszupacken gedachte. Konkret hieß das: Kredite für angeschlagene Unternehmen, Soforthilfemaßnahmen und Konjunkturprogramme in Milliardenhöhe, die der Wirtschaft über den Einnahmeausfall hinweghelfen sollten.
In Nordrhein-Westfalen schloss man sich der megalomanen Rhetorik des Kollegen in Berlin zwar nicht an, inhaltlich herrschte aber Übereinstimmung. Das scheint die meisten Unternehmen in Nordrhein-Westfalen zwar kurzfristig am Leben zu erhalten, doch auf lange Sicht bleibt die Verunsicherung groß. So ist es deprimierend wie vorhersehbar, was die NRW-Bank in ihrem Geschäftsklimabericht für April festhält. Erstmals seit elf Jahren befindet sich die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen in einer Rezession. Schon jetzt ist das Geschäftsklima unter den historischen Tiefpunkt von 2009 gefallen. Die Wirtschaftskrise wird Menschen und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen hart treffen – viel härter noch als die Wirtschaftskrise vor elf Jahren.
Doch der Bericht zeigt auch, dass zumindest mit einem Mythos aufgeräumt werden kann: Die Corona-Krise trifft nicht alle – zumindest nicht gleich hart. Während die Ernährungs- und Tabakindustrie und der Wohnungsbau die Lockdown-Monate relativ entspannt überstanden haben, rechnet ein Drittel der Gastronomen mit dem Aus. Die wirtschaftlichen Folgen, die die Corona-Pandemie produziert, werden ungleich verteilt sein. Und damit ist nicht nur der Unterschied zwischen den Branchen gemeint. Die sozialen Unterschiede, die sich in den letzten Jahren ohnehin immer schneller vergrößerten, werden durch die Rezession noch weiter verschärft. Gerade in der Gastronomie, wo die Arbeitsverhältnisse traditionell prekär sind, droht einer Heerschar von Beschäftigten Hartz IV.
Und während die Pandemie noch längst nicht überstanden ist, läuten die Lockerungsmaßnahmen im Land den überhitzten Krisen-Diskurs schon zur nächsten Phase über: Wie werden – nach all den Geldern, die in die Wirtschaft gepumpt wurden – die Kassen wieder gefüllt? Die nicht nur von Merkel, sondern auch von NRW-Ministerpräsident Laschet so heiß verehrte schwarze Null – sie könnte bald wieder zur Staatsraison werden. Wenn nun aber große Automobilkonzerne Sonderregelungen verhandeln, wenn die Lufthansa Kredite in Milliardenhöhe verlangt, ohne ihr klimaschädliches Geschäftsmodell hinterfragen zu müssen, dann wird nicht nur das Klima mit Füßen getreten. Es ist auch zu befürchten, dass die Folgekosten der Krise auf jene abgewälzt werden, die sowieso schon am meisten unter der Krise gelitten haben.
Auf die Bazooka darf nun aber nicht der soziale Kahlschlag in Form von Sozialabbau folgen. Viel wurde in den letzten Wochen über ein neues Solidaritätsgefühl geredet. Bei den Folgekosten der Krise wird sich zeigen, wie weit diese Worte tragen. Es braucht ein feines Gespür dafür, wie ökologische und soziale Katastrophen vermieden werden können. Werden Wirtschaftsriesen in Nordrhein-Westfalen, sei es der Immobilienkonzern Vonovia oder der Energiezulieferer RWE, die trotz Krise weiterhin Gewinne einfahren, einen solidarischen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten können? Nordrhein-Westfalen hat in seiner Geschichte viele Erfahrungen mit wirtschaftlichen Wandlungsprozessen machen müssen. Bei der Corona-Krise könnte das Land Vorbild sein. Ob in Form von Steuern oder Mietstundungen – es gibt viele Arten von Solidarität.
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Aktiv im Thema
www.sozialberichte.nrw.de | Das Arbeitsministerium publiziert hier NRW-Sozialberichte (zuletzt 2016) und verlinkt zu kommunalen Erfassungen.
www.armuts-und-reichtumsbericht.de | Die vom Bundesarbeitsministerium betriebene Seite enthält den vollständigen Bericht und Grafiken zu einzelnen Aspekten.
makronom.de/argument/vermoegensteuer | Das Debatten-Magazin für Wirtschaftspolitik führt Argumente für und gegen die Vermögenssteuer auf.
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