Essen, 5.12. - In der gemütlichen Galerie Cinema an einem bitterkalten Winterabend kam Gänsehaut auf als die Bochumer Filmemacher Anne von Buskow und Nik Sentenza ihren Horrorfilm im Gewand einer Dokumentation vorstellten. Unkompliziert und ohne Moderation gab es in der Wohnzimmer-Atmosphäre des kleinen Kinos viel Lob für den Film, der ohne große Effekte das Gruseln lehrt. Thema ist das mysteriöse Verschwinden einer vierköpfigen Familie, für das sich ein fingierter Filmstudent interessiert, um dann auf Toms Video zu stoßen, das er „nie hätte sehen dürfen.“ Irgendwann ist dann völlig unklar: Spukt es im Eigenheim, in Toms Kopf oder im Skript, was zu Herzklopfen und Gänsehaut beim anwesenden Publikum führte.
Anne von Buscow im Filmgespräch. Foto: Betty Schiel.
„Normalerweise gucke ich mir Horror gar nicht an, aber dieser Film nahm mich völlig ein.“, war eine Reaktion nach dem Film. Und das gefiel dem Regisseur Nik Sentenza, der eh keinen klassischen Horrorfilm drehen wollte, sondern sich eher für ein Psycho- oder Familien-Drama interessierte. Pate stand der Kunstgriff des found footage im Stil von „Blair Witch Projekt“, den Sentenza dramaturgisch intensiver ausloten wollte. Es ging ihm darum, die Idee weiter zu spinnen, wie man gefundenes Videomaterial in einem neuen Kontext verorten kann, der tiefer geht und mehr Raum für die Ausarbeitung der Figuren ermöglicht. Da das dann mit Laiendarstellern und fingierten Interviews zunächst nach einem Dokumentarfilm aussieht, erhöht sich das Unbehagen beim Betrachter, wenn die ersten psycho-pathologischen Defekte im Familienleben aufgerollt werden. Mit anderen Worten: „Ist der freundliche Stiefvater der Teufel in Person oder halluziniert Tom sich in einem schizophrenen Schub eine Horrorwelt zusammen, in die sich dann auch der Filmemacher verheddert?“ Spannend fand Sentenza die Ambivalenz zwischen dem pubertierenden Protagonisten und seinem Umfeld, das auf dessen Kapriolen reagieren muss, also die Frage, wo Handlungsbedarf besteht und was man einfach abtun kann. Ist er krank, schwer krank, oder gar nicht?
Der Schnitt, der von den Zuschauern besonders gewürdigt wurde, hätte sich eigentlich von selbst ergeben, erläuterte Cutterin Anne von Buskow. Denn Konzept des Drehbuchs sei es gewesen, alle Szenen durchzudrehen. Die größte Herausforderung war es letztendlich, dass man immer nur die ganze Sequenz nehmen konnte oder gar nicht.
Die winzige Summe von 3.000 Euro – damit ein „no-budget-Film“ – stand für die Produktion zur Verfügung. Und das sei auch die Idee gewesen, erst mal den Film zu realisieren ohne die aufwändigen Förderwege um dann zu gucken, wie es weiter geht. „Ich würde dieses Verfahren aber nicht unbedingt weiterempfehlen.“, schmunzelt Sentenza, denn eine Distribution des Films ohne Verleih oder Fernsehen gestaltet sich als schwierig, und es ist nicht grade einfach, ein größeres Publikum zu bekommen. Die Galerie Cinema mit ihren nicht ausverkauften 43 Plätzen wird daran nichts ändern, hinterließ aber zufriedene Besucher.
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