Die Gräben werden nur größer, wenn Alexandra Wesolowski mit neuen Argumenten ausholt. Dabei sitzen ihre Tante und ihr Cousin am gleichen Tisch. Alexandra ist die deutsche Nichte, die zur Goldenen Hochzeit ihrer Mutter nach Polen reiste. Und hier, im Nachbarland, eröffnet sich für die in Polen geborene, aber in Deutschland aufgewachsene Wesolowski eine andere Welt, als sie mit der Familie debattiert – egal, über welche Aspekte. Aushebung der Verfassung? Die PiS-Partei agiert als vernünftige und legitimierte Regierung und die Opposition kann sich zum Teufel scheren! Pressevielfalt? Linke Manipulation! Gender? Marxistische Indoktrination.
Es ist zum verzweifeln. Umso mutiger war die Entscheidung von Regisseurin Alexandra Wesolowski, für ihren Dokumentarfilm „Impreza – Das Fest“ selbst vor der Kamera zu agieren und ausdauernd zu debattieren. Die „Lola“ zeichnete ihren Beitrag mit dem Sonderpreis des Deutschen Kurzfilmpreises aus.
Die Lichtburg in Oberhausen zeigte vom 5. bis 11. September eine Auswahl der prämierten Werke. Darunter der zu Recht ausgezeichnete „Impreza“. Denn Wesolowski stellt die polnischen Verwandten nicht als patriotische Hinterwäldler dar. Im Gegenteil: Es ist eine gutbürgerliche Familie, die für die Vorbereitung der Goldenen Hochzeit zusammenkommt. Danuta, die Großmutter und Jubilarin, lässt wie eine Matriarchin ihre jungen Nichten in ihren alten Kleidern durch den Garten huschen. Es ist eine stolze Modenschau, ein intaktes, familiäres Miteinander.
Doch sobald Alexandra Wesolowski politische Themen anspricht, verziehen sich alle in den gleichen nationalistischen Panzer. Das kann bizarr klingen, wenn etwa ihre Tante gegen die – vermeintlich – inflationäre Abtreibungspraxis im Westen oder den angeblichen Gender-Wahn schießt, um am Ende die sexualpädagogischen Leitlinien der WHO als „Horror“ abzustempeln. Genauso kann es irrationale Züge annehmen, wenn ihr Cousin seine Angst vor dem Islam auspackt, der Bomben und Terror nach Warschau bringen würde.
„Impreza“ zeichnet allerdings aus, dass die Debatten nie asymmetrisch verlaufen. Wesolowski stellt sich den polnischen Perspektiven – und Traumata. Wodurch der Zuschauer Polen und die PiS-Gefolgschaft verstehen kann. Wie etwa den Nationalismus und die Ablehnung der EU. Dieser Nationalismus speist sich aus der historischen Erfahrung, immer wieder im Würgegriff der beiden Großmächte Russland und Deutschland die nationale Souveränität verloren zu haben. Neu ist diese Erkenntnis nicht.
Doch Wesolowski provoziert diese historischen Traumata, die vor der Kamera wie Gespenster um die gut gesittete, polnische Mittelschicht kreisen. Die PiS-Partei sitzt am Familientisch. So zitiert ihr Cousin kurzerhand den marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci, der in seiner bekannten Hegemonie-Theorie u.a. dafür plädierte, eine „antichristliche Ideologie“ zu etablieren, um das System aus den Angeln zu heben. Wesolowski sitzt am Tisch und hört zu, wie ihr Verwandter alles weiter ausführt, wie er das in Verbindung bringt mit dem gescheiterten Versuch der frühen Sowjetunion, im Jahr 1920 Polen zu überrollen. Wie schließlich der Stalinismus die Ideen in die polnischen Köpfe impfen wollte. Von oben herab. Und wie nun die EU das gleiche Spiel mit den Polen spielt. Von oben herab. Genau diese Erkenntnisse liefert „Impreza“: Vielleicht rutscht Polen in den nationalistischen, illiberalen Abgrund. Aber die PolInnen wissen, dafür zu argumentieren: als Befreiung.
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