Rembrandt (1606 – 1669) gilt als Maler der Emotionen, der in seinen Werken komplexe Gemütsbewegungen und die Psyche der Figuren zu verarbeiten vermag. Insbesondere das Spätwerk des Künstlers enthält eine Vielzahl von Bildern, in denen das Innenleben der Figuren anschaulich gemacht wird. Rembrandts letzte Schaffensperiode wird aktuell in einer Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum (noch bis zum 17.05.15) gewürdigt. In einer Kooperation mit der National Gallery London, die das Spätwerk des Künstlers bereits zeigte, wurden über hundert Arbeiten – Gemälde, Zeichnungen und Radierungen – zusammengetragen und dem Publikum näher gebracht. In seinem Film dokumentiert Phil Grabsky die Ausstellungen, setzt einzelne Werke pointiert ins Bild und eröffnet einen Blick auf die Charakteristika der Kunst des niederländischen Malers.
Lucretias Gesicht ist von Traurigkeit und Schmerz gezeichnet. Die großen Augen schwimmen in Tränen, die zitternden Lippen sind zusammengepresst. Die Verzweiflung ist der Figur, die sich mit einem Dolch in die Seite gestochen hat, buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Rembrandt hält in dem 1666 gemalten Werk den Suizid der tugendhaften Lucretia fest – ein höchst dramatisches Moment, das jedoch nicht überschwänglich und pathisch aufgeladen ins Bild kommt, sondern vielmehr, im Stillen, im Inneren der Figur verhandelt wird. Das Drama spielt sich im Gesicht ab, dort artikuliert sich der Seelenschmerz. Während in der barocken Malerei der Körper mit seinen Gesten als Ort der Passion inszeniert wird, konzentriert sich Rembrandt auf das Gesicht, das in seinen Bildern als Spiegel der Seele betrachtet werden kann. Effektvoll dargestellte Leidenschaften, wie wir sie aus Rubens’ Malerei kennen, werden durch ein reflexives, stilles Moment ersetzt. Rembrandts Privilegierung des Gesichts ist, so die aktuelle Forschung, vor dem Hintergrund der Affektforschung des 17. Jahrhunderts zu lesen, die sich mit der Artikulation und Ursache von Emotionen sowie ihren Auswirkungen auf den Körper befasst und davon ausgeht, dass Emotionen nicht allein durch äußere Reize hervorgerufen werden, sondern als psychisches Phänomen zu verstehen sind. Ausdrucksträger der Gemütswelt ist das Gesicht, das in Rembrandts Selbstportraits oder auch in den Historienbildern des Künstlers, in denen Momente der Reflexion präsentiert werden, im Zentrum des Interesses steht.
Rembrandt, ein Müllerssohn, beginnt seine Ausbildung zum Maler 1621 in seiner Heimatstadt Leyden, im Atelier von Jacob Isaacsz van Swanenburgh und beendet diese 1624 in Amsterdam bei Pieter Lastman. Im Jahr 1625 eröffnet er sein eigenes Atelier, das er 1631 nach Amsterdam verlegt. Dort feiert er mit dem Werk „Die Anatomie des Dr. Tulp“ (1632) einen ersten Erfolg und macht sich als Portraitmaler einen Namen, wenngleich er ebenso Historienbilder malt. Rembrandts Kunst ist unkonventionell. Nicht nur transformiert er das klassische Historienbild, indem er den Fokus auf einzelne Figuren und ihre Gemütsverfassung legt und damit das ikonographische Programm reduziert – in der Darstellung der Bathseba (1654) wird lediglich durch den Brief die alttestamentarische Geschichte angedeutet. Er entwickelt ebenfalls einen spezifischen Malstil. Rembrandt trägt die Farben pastos auf und glättet die Masse nicht, wie es die akademischen Regeln verlangten. Die Bildgegenstände generieren sich somit aus dick applizierter Farbe, die mit Hilfe verschiedenster Utensilien modelliert wird. Rembrandts Werke haben Reliefcharakter – Grabsky schafft es, in Nahaufnahmen einzelner Gemälde, diesen hervorzukehren. Die Spuren des Malprozesses, die Kratzer und Furchen, sind deutlich zu erkennen und verweisen auf den Entstehungsprozess der Werke. Dieser Umgang mit Farbe ist höchst modern, indem Farbe als Materie und Teil des Bildes gedacht und nicht, wie in der Feinmalerei, negiert wird. Damit weisen Rembrandts Werke Eigenschaften der avantgardistischen Malerei auf, die die Materialität des Bildes zum Thema ihrer Kunst macht.
Auch in seinen Zeichnung und Radierungen lotet Rembrandt die Möglichkeiten der künstlerischen Mittel aus. Grabsky lässt hierzu die Kuratoren der Ausstellungen zu Wort kommen, die an ausgewählten Werken die Arbeitsweise und den Umgang des Altmeisters mit den bildnerischen Mitteln erläutern. Um Rembrandts Vorgehen anschaulich zu machen, zeigen außerdem zwei zeitgenössische Künstler, wie der Maler seine Farben auftrug und seine Druckplatten bearbeitete. Auch dieses Mal gewährt Grabsky nicht nur einen Einblick in das Leben eines berühmten Künstlers, sondern beleuchtet künstlerische Techniken und Arbeitsweisen.
Im vierten Teil seiner Serie wird der britische Filmemacher Vincent van Gogh portraitieren, einen Künstler der Moderne, dessen Umgang mit Farbe identisch ist. Farben kommen bei van Gogh ebenfalls als opake Masse ins Bild, in die sich die Handschrift des Künstlers einschreibt. In diesem Sinne ist Rembrandt ein moderner Künstler avant la lettre.
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