Ängste sind ja ein prima politisches Werkzeug. Bürger:innen lassen sich von repressiven Regenten in die Lähmung verängstigen. In demokratischeren Gefilden nebenan wiederum werden atomare Ängste geschürt, die davor warnen, repressiven Regenten allzu repressiv zu begegnen – Repressoren nehmen es mit Kusshand. Zugleich lassen sich grundsätzlich friedliebende Bürger:innen durch Parteien aufwiegeln, indem diese Ängste mit bodenlosen Erzählungen schüren und die Sündenböcke gleich mitliefern. Die systemische Verkopplung von Meinung, Aggression und damit Schüren von Ängsten, daran erinnern sich hierzulande die, die aus guten Gründen nicht vergessen wollen – und deshalb Angst bekommen. Viele andere verdrängen die Vergangenheit und lernen folglich nichts draus. Der Mensch ist ein Verdränger.
Überlebensinstinkte verbuddeln
Wenn er es sich leisten kann, verdrängt der Mensch selbst akute Krisen. Auch das begrüßt, je nach Parteiprogramm, die Politik, wenn sie ausnahmsweise mal nicht Ängste schürt, sondern sie dämpft und Krisen kleinredet. Satirisch dazu: „Ach, das Ozonloch, ich hab noch keins gesehn, bis jetzt“ (Badesalz: „Am Abgrund der Dummheit“, 1990). Dabei hat sich Mutter Natur die Angst bekanntlich nicht ohne Grund ausgedacht. Als Überlebensstrategie, über die wir Instinkte schulen und aus der wir idealerweise lernen. Nur lernt der moderne Mensch bevorzugt, wenn es ihm akut zugutekommt, aber ungern, wenn es ihn einschränkt und er etwas ändern müsste. Und so stecken wir lieber den Kopf in den Sand und verbuddeln unsere Überlebensinstinkte gleich mit. Das fällt uns in der Zivilisation besonders leicht, wo man an verunreinigte Umwelt längst gewöhnt ist und zugleich in Urbanität und am Display genug Reize findet, die von berechtigter Sorge ablenken.
Blöd nur, wenn bei allen Verdrängungsbestrebungen Körper und Seele nicht mitspielen. Für Panikattacke oder Trauma allerdings muss schon etwas außergewöhnlich Bedrohendes passieren – ferne Einzelschicksale oder Frühlingsgefühle im Winter reichen da nicht. Die Klimakrise vollzieht sich bisher wohl zu schleichend und der Krieg nebenan vermeintlich zu weit entfernt für kollektive traumatisierende Erfahrungen. Und gegen den Klimawandel gibt’s ja Klimaanlagen: Angstabkehr ad absurdum. Und doch sorgen sich viele existenziell, erkennen die Notwendigkeit für konsequentes Handeln und verzweifeln dabei mehr an unbekümmerten Mitmenschen als an der drohenden Katastrophe selbst.
Unbekümmerte Mitmenschen
Zur Abkehr von Gefahren und Ängsten müsste der Mensch wach, vorausschauend und sozial verbunden leben. Nur entspricht so ein Konzept nicht den gängigen Gesellschaftsmodellen. Despoten interessieren sich nicht für Verantwortung, während demokratische Politiker:innen nicht verantwortungsvoll handeln, solange ihre Wähler:innen Verantwortung als Wohlstandseinbuße ablehnen. Also bleibt alles wie gehabt, zumindest, solang die Gefahr nicht greifbar ist: Die Katastrophe muss erst passieren. Wenn sich indes vorausschauend Besorgte auf die Straße kleben, um vielleicht doch etwas wachzurütteln, dann werden sie – anders als etwa Bauern auf Traktoren – verdonnert, verprügelt und staatsanwaltschaftlich über die Maßen belangt. Pech gehabt, Klimakleber: Ihr seid greifbar!
Immerhin: Viele von uns machen sich Sorgen ums Klima und ums Weltgeschehen, sind fassungslos angesichts von Hass und Gewalt auf den Straßen. Aber gehen wir wirklich weit genug oder ist unsere Sorge doch bloß Schmuck? Geht es uns einfach zu gut, wenn wir Verschwörungsmärchen glauben oder ins Kino gehen müssen, um überhaupt mal richtig Angst zu bekommen?
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Ablenkungsversuch
Intro – Hab’ keine Angst
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 1: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
Weltweit für Menschenrechte
Teil 1: Lokale Initiativen – Amnesty International in Bochum
Angst über Generationen
Teil 2: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 2: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
Sorgen und Erfahrungen teilen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Kölner Verein Rat und Tat unterstützt Angehörige von psychisch kranken Menschen
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung
Gefestigtes Umfeld
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Verein Chance 8 fördert Chancengleichheit für Kinder
Soziale Bakterien
Den Ursprüngen sozialer Phobien auf der Spur – Europa-Vorbild: Irland
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
Europäische Verheißung
Teil 1: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 1: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Der andere Grusel
Teil 1: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 3: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Wildern oder auswildern
Teil 1: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen
Sehr alte Freunde
Teil 3: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Von leisen Küssen zu lauten Fehltritten
Teil 1: Leitartikel – Offene Beziehungen: Freiheit oder Flucht vor der Monogamie?
Durch dick und dünn
Teil 2: Leitartikel – Warum zum guten Leben gute Freunde gehören