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Kameramann Jörg Jeshel (l.) und Regisseur Andres Veiel, Foto: zero one film

„Jemand wie Beuys fehlt heute“

27. April 2017

Andres Veiel über seinen dokumentarischen Essay „Beuys“ – Gespräch zum Film 05/17

Andres Veiel absolvierte parallel zu seinem Psychologiestudium eine Regieausbildung am Berliner Künstlerhaus Bethanien. Für Filme wie „Black Box BRD“ (2001), „Die Spielwütigen“ (2004), „Der Kick“ (2006) oder „Wer wenn nicht wir“ (2011) erhielt er über 40 Auszeichnungen, darunter den Europäischen und mehrfach den Deutschen Filmpreis. Sein neues Werk ist der filmischen Essay „Beuys“.

trailer: Herr Veiel, was war Ihre allererste Begegnung mit Beuys?
Andres Veiel: Das war auf der documenta 1977 seine „Honigpumpe“, wo aus vielen Schläuchen der Honig durchfloss, und unten war ein großer Fettberg, der von einer Pumpe umgewälzt wurde. Ich war 17 und von diesem Bild beeindruckt. Von diesem Kraftspeicher, der die Mauern des Museums auch politisch durchbrach. Ich bin in Stuttgart in einem biederen Vorort mit gestutzten Ligusterhecken aufgewachsen – da war damals Kunst Provokation.

Woher kam jetzt Ihre Motivation, einen Film über Beuys zu machen?
Es gab 2008 eine große Beuys-Ausstellung im „Hamburger Bahnhof“. Da habe ich ihn wiederentdeckt. Vor allem als Künstler, der sich in politische Ideenräume eindenkt. Er hatte sich mit Geldströmen beschäftigt und unser ganzes Demokratiesystem in Frage gestellt. Ich fand es unglaublich, dass ein Künstler so früh solche Tendenzen gesehen hat, die heute eine immense Rolle spielen.

Nach welchem Konzept sind Sie dann vorgegangen?
Das war erst einmal eine Auseinandersetzung mit einem Materialberg. Es gab mehr als 400 Stunden Video-, Fernseh- und Audiomaterial. Diese Bänder lagen in einem Dachkämmerchen im Medienarchiv des „Hamburger Bahnhof“. Da habe ich mich einschließen lassen, tagein, tagaus, von morgens bis abends. Darüber versuchte ich zu begreifen, wer dieser Mensch war. Ich bin auf jemanden gestoßen, der viel zu sagen und durchaus etwas Missionarisches hatte. Worauf ich eigentlich skeptisch reagiere.

Und was hat Sie dennoch fasziniert?
Der Humor von Beuys. Dass er über sich selbst lachen konnte und in bestimmten Momenten wie ein Hase Haken schlug. Das hat mich begeistert, interessiert und neugierig gemacht. Ich sah einen Menschen, der – trotz seiner historischen Prägung und seiner Kriegserlebnisse – sehr undeutsch war.

Was auffallend und ungewöhnlich ist an Ihrem Film: Sie verwenden rund 90 Prozent Archivmaterial und nur punktuell „Talking Heads“.
Das Material trat sozusagen im Wettbewerb gegeneinander an. Wir hatten Zeitzeugen-Interviews gedreht, und auch Landschaften, den Rhein – die üblichen Zutaten für ein Künstlerporträt. Es wurde aber schnell klar: Es muss da einen eigenen Zugriff geben. Man kann Beuys nicht so klassisch erzählen. Von den 23 Zeitzeugen blieben letztlich fünf. Denn natürlich hätten sie sich zwischen den Zuschauer und Beuys gestellt. Es war immer interessanter, ihn unmittelbarer – bei der Herstellung eines Kunstwerks oder in Diskussionen – zu erleben. Das Archivmaterial war einfach stärker und hat näher an den Menschen und Künstler herangeführt.

Wie haben Sie dann einen Pfad durch den Dschungel der Bänder und Bilder geschlagen?
Ich hatte zwei großartige Editoren, die sich frisch und nochmal mit anderem Blick auf das Material eingelassen haben. Denen hatte ich zwar eine Vorauswahl gegeben, doch sie waren neugierig und haben sich in 18 Monaten, zusammen mit einer Archivarin, das gesamte Material erschlossen. Für mich selbst stand eine Kernarbeit am Anfang: „zeige deine Wunde“. Diese Installation drückt für mich so eine Kraft, aber auch Verlorenheit, Einsamkeit und Verletzbarkeit aus, dass ich es als Schlüsselwerk begriff. Man kann Beuys' unglaubliche Energie und auch seinen Humor, seine große Menschlichkeit vielleicht nur verstehen über seine Kriegsverletzung und die Krisen, die ihn immer wieder in Todesnähe gebracht haben, die er aber bewältigt hat. Ich denke, dass er die Möglichkeit der Selbstrettung letztlich auch auf die Gesellschaft übertragen hat. Sein Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ heißt ja auch, dass jeder in der Lage ist, Gesellschaft mitzugestalten.

Jetzt haben Sie erstmals nicht mit selbstgedrehtem und inszeniertem Material gearbeitet. War das schwierig?
Ich versuche schon, mit jedem Film neu zu denken und mich auf neue Prozesse einzulassen. Die vorigen Filme haben ihren Weg ins Kino gemacht. Da gibt es natürlich die Tendenz, etwas wieder so zu machen, was funktioniert hat. Das ist Verlockung und Gefahr zugleich. Man gerät auf eingefahrene Gleise und droht, sich zu wiederholen. Von daher habe ich etwas Neues gebraucht, aber es hat mich auch verunsichert, dass die Form nicht klar umrissen war und erst gefunden werden musste. Beuys, der Hase, läuft eben nicht geradeaus durch den Haupteingang, der muss Haken schlagen, auch dramaturgisch.

Sie verzichten konsequent auf Orientierungspunkte wie Daten oder Einordnung der Zeitzeugen. Das setzt ein gewisses Vorwissen voraus…
…oder Neugierde! Ich glaube, dass man bei jedem der Zeitzeugen an der Emotionalität spürt, welche Nähe zu Beuys vorhanden war. Es sind ja keine Menschen, die nur eine einzige Funktion bei ihm hatten. Wir fanden es viel interessanter, dass man nur einen Namen bekommt und dann selbst mitdenken muss. Ich glaube immer an aktive, wache Zuschauer.

Was kann Beuys denen heute noch sagen?
Er hat als einer der Ersten schon damals etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Wenn jeder Mensch ein Künstler ist und Fähigkeiten und Begabungen hat, dann hat er an sich Anspruch auf Geld vom Staat. Außerdem hat Beuys erkannt, dass wir als Bürger und Steuerzahler erst wirklich in einer Demokratie leben, wenn die Geldströme demokratisiert werden. Das alles hat er früh gesehen und ist dafür, auch als kommerziell erfolgreicher Künstler, ausgegrenzt worden. Aber diese Fragen sind ja noch drängender geworden als damals.

Ein Avantgardist also auch als Denker.
Ja, jemand wie Beuys fehlt heute! Künstler, die die Notwendigkeit erkennen, aus den Geschäfts- und Selbstdarstellungs-Ghettos herauszutreten. Die nicht nur über ihren Marktwert Schlagzeilen erreichen. Denn das ist erbärmlich.

Interview: Jessica Düster

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