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Filmemacher Tarik Saleh inszenierte „Die Kairo Verschwörung“
Foto: Kim Svensson

„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“

28. März 2023

Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23

Tarik Saleh wurde 1972 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines ägyptischen Vaters in Stockholm geboren. Nachdem er zwei Musikvideos für Lykke Li („I Follow Rivers“) inszeniert hatte, startete seine Karriere mit „Die Nile Hilton Affäre“ auch international durch. In den USA inszenierte er Episoden der Erfolgsserien „Westworld“ und „Ray Donovan“ sowie kürzlich den Actionfilm „The Contractor“. Für „Die Kairo Verschwörung“ wurde er 2022 in Cannes mit dem Drehbuchpreis ausgezeichnet. Ab dem 6. April ist der Politthriller nun auch hierzulande in den Kinos zu sehen.

trailer: Herr Saleh, Sie haben eine persönliche Verbindung zur al-Azhar-Universität, weil Ihr Großvater einst dort studiert hat. Wie kamen Sie auf die Idee, darüber einen Film zu drehen?

Tarik Saleh: Die Initialzündung dazu kam, als ich „Der Name der Rose“ als Erwachsener noch einmal gelesen habe. Mir fiel auf, dass das Buch viel tiefgründiger war, als es mir beim ersten Lesen als Teenager vorgekommen war. Ich verstand jetzt, dass es dabei um eine Art Untersuchung des Verhältnisses zwischen Religion und Kunst geht. Dann fragte ich mich, ob ich eine Geschichte erzählen könnte über die Verbindung zwischen dem sunnitischen Islam und Kunst. Und meine Antwort darauf war ‚Ganz sicher nicht!‘ Ich habe mich dann an die Recherchen gemacht, und nachdem ich mich an einer Art Kurzgeschichte darüber versucht hatte, hatte ich das Gefühl, vielleicht auch einen Roman darüber schreiben zu können. Denn beim Filmemachen besteht das größte Problem darin, während des gesamten Prozesses die Kontrolle zu behalten. Darin würden mir sicherlich die meisten Filmemacher zustimmen. Man braucht Glück, um wirklich den Film machen zu können, den man ursprünglich beabsichtigt hatte. So vieles kann schiefgehen, so viele Kompromisse sind zu machen. Am Anfang war die Geschichte deswegen noch gar nicht so persönlich, es war eher ein spielerischer Zugang. Erst als ich das ganze Drehbuch geschrieben hatte, wurde mir bewusst, wie persönlich es ist. In Ägypten ging es im 20. Jahrhundert immer nur um Bildung. Es war ein sehr armes Land, das durch eine Bildungsreform aus der Dunkelheit geführt wurde. Mein Großvater und meine Großmutter waren Teil der Generation, die aus einem Dorf stammte und erstmals Zugang zu Bildung erhielt. Mein Großvater hat in den frühen 1920er Jahren an der al-Azhar-Universität studiert, die damals noch eine sehr angesehene Institution und für jemand Armes aus einem Dorf die einzige Möglichkeit auf Bildung war. In meinem Film ist al-Azhar mehr als eine Universität, es ist eher eine Institution, die im Grunde das Narrativ des sunnitischen Islams kontrolliert.

Ist die Universität heute noch der Leuchtturm der islamischen Wissenschaft oder hat sie aufgrund des politischen Einflusses ihre Unabhängigkeit eingebüßt?

Al-Azhar war immer sehr sensibel gegenüber denjenigen, die in Ägypten gerade an der Macht waren. Sie wurde von schiitischen Muslimen erbaut, aber als Ägypten zum sunnitischen Islam konvertiert wurde, ging dem die Umwandlung der al-Azhar in eine sunnitische Institution voraus. Sie war unter Nassers sozialistischem Regime sozialistisch, unter Sadat und Mubarak hatte sie dann kapitalistische Ansichten. Und dennoch war sie immer unabhängig. Zwischen der aktuellen Macht und al-Azhar wurde so etwas wie ein Tanz aufgeführt. Die größte wirkliche Bedrohung gegen al-Azhar ist eine, die auch westliche Institutionen betrifft und vom Fernsehen ausgeht. Mit Aufkommen des Fernsehens wurde der Fernseh-Imam zur Autorität und heute hat seine Stelle der Internet- oder der YouTube-Imam eingenommen. Er hat die Autorität und Millionen von Followern. Aber die al-Azhar in meinem Film ist fiktional und auch die Geschichte ist meine Erfindung.

Sie scheinen Genrefilme zu mögen und „Die Kairo Verschwörung“ ist meiner Meinung nach ein Politthriller, der im Stil eher John LeCarré als James Bond gleicht, stimmt das?

Oh, ja. Ich mag an John LeCarré, dass seine Bücher im Grunde Liebesgeschichten sind. Natürlich sind sie auch Spionagethriller, aber ein durchgehendes Motiv bei ihm ist die Liebe. Seine Figuren scheitern immer aufgrund ihrer Schwächen und weil sie auf ihr Herz hören. Für mich hat er auch einen sehr interessanten Blick auf die Welt durch die Augen von Personen, die neben der großen Politik agieren. Sie stellen eine Konstante dar, während sich die Politiker und die Umstände um sie herum immer verändern. Aber diese Menschen ändern sich nie.

Fares Fares, der den Leiter der Staatssicherheit spielt, kennt man hierzulande eher als Komiker. Wie kamen Sie darauf, ihn in dieser Rolle zu besetzen?

Ich habe ihm diese Rolle auf den Leib geschrieben, ich hatte ihn dafür immer im Kopf. Ich liebe es, mit Fares zu arbeiten. Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück, denn er ist am Ende genauso geworden, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Das kommt sehr selten vor, denn meistens kommt man seinen Absichten nur nahe. Hier hat alles 100%ig gestimmt. Und das trotz einiger widriger Umstände, einschließlich Covid. Ich habe alles bekommen, was ich wollte, und ich habe alles gedreht, was ich brauchte. Tawfeek Barhom, der Adam spielt, hatte ich schon lange davor in anderen Rollen gesehen. Weil ich das Gefühl hatte, dass er Adam ist, habe ich ihm das Drehbuch geschickt. Viele der Darsteller im Film waren meine allererste Wahl für die Rollen. Fares ist meiner Meinung nach einer der besten lebenden Schauspieler weltweit. Wir haben erst den Anfang seines Könnens gesehen, er wird das Publikum weiter verblüffen, denn seine Fähigkeiten sind enorm.

Sie stehen in Ägypten auf einer schwarzen Liste und können das Land nicht betreten. War es schwierig, die Locations in der Türkei nachzubauen?

Es ist schwierig mit Ägypten. Ich kann das Land zwar betreten, aber wahrscheinlich danach nicht mehr verlassen. Deswegen reise ich besser gar nicht erst ein. (lacht) Die erste Möglichkeit wäre gewesen, al-Azhar nachzubauen. Das wollten wir zunächst teilweise in Marokko tun, das wäre aber sehr kompliziert und teuer geworden. Als man wegen Covid nicht mehr nach Marokko einreisen konnte, fragten mich die Produzenten, wo ich den Film stattdessen mit bestehenden Gebäuden drehen könnte. Eine Möglichkeit wäre der Iran gewesen, was aber wegen anderer Gründe kompliziert geworden wäre. Eine andere Möglichkeit war die Türkei, wo es einige der eindrucksvollsten islamischen Bauten gibt. Ein sehr bekannter türkischer Produzent ermöglichte es uns dann, in der Süleymanye-Moschee in Istanbul zu drehen, die meiner Meinung nach eine der fünf beeindruckendsten islamischen Gebäude der Welt darstellt. Das war fast zu gut, um wahr zu sein. Die Setdesigner sagten mir, was sie alles verändern könnten, damit es mehr nach al-Azhar aussieht. Ich hingegen sah dort ein architektonisches Meisterwerk, das ich nicht im Geringsten verändern wollte. Mir war klar, dass das meine Version von al-Azhar werden würde, denn es ist ja auch eine fiktionale Geschichte.

Sie waren in den letzten Jahren auch in Hollywood erfolgreich, haben Serienepisoden für „Westworld“ und „Ray Donovan“ und den Film „The Contractor“ inszeniert. Gibt es große Unterschiede in den Arbeitsweisen dort und in Schweden?

Ja und nein. Ich hatte viel Glück, mit einer Menge talentierter Menschen auf beiden Seiten des Teichs arbeiten zu können. Wenn ich meine eigenen Filme mache, sehe ich mich als deren Autor. Deswegen machen das Schreiben und der Schnittprozess den größten Unterschied aus, denn bei meinen eigenen Filmen ist jede Entscheidung meine eigene. Bei „Westworld“ bin ich Teil einer Schöpfung eines anderen geworden, denn die Serie wurde von Jonathan Nolan und Lisa Joy kreiert, und dennoch fühlte ich mich voll verantwortlich. Dann zwinge ich mich, als Regisseur mein Bestes zu tun, wie wenn ich mich selbst als Regisseur für meinen eigenen Film angeheuert hätte. Das Inszenieren liebe ich nicht unbedingt, das ist persönlich nur ein Job für mich, den ich aber sehr ernst nehme. Wirklich lieben tue ich das Schreiben und das Editieren. Wenn ich einen amerikanischen Film wie „The Contractor“ inszeniere, dann habe ich einen Vertrag unterschrieben, bei dem ich keinen Final Cut habe. Dieses Recht hat lediglich der Produzent. Das bedeutet, dass ich sie von allem überzeugen muss, was ich tun will. Wenn ich den Final Cut habe, müssen sie mich überzeugen. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. Als Künstler möchte man aber niemanden überzeugen müssen. Bei einem Film wie „Die Kairo Verschwörung“ kann ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen, mit dem man andere aber nicht überzeugen kann, obwohl das Bauchgefühl wahrscheinlich die ehrlichste Weise ist, wie man sich einem Projekt nähern kann. Aber dennoch bin ich sehr dankbar für die Möglichkeiten, die mir in den USA gegeben wurden. Dort werden Film und Fernsehen sehr ernst genommen, weil eine Menge Geld dahintersteckt und eine Menge Geld damit verdient werden kann. Ich würde dennoch sagen, dass ich lieber Filme in Europa drehe. Das Beste, was wir hier im Vergleich zu den Amerikanern haben, ist die Möglichkeit, sich auf etwas einlassen zu können. In den USA muss man sich alle Türen offenhalten, was das Ergebnis massenkompatibler und weniger kantig macht. Wir leben aber in einer Zeit, in der Film etwas Besonderes sein muss und keine Kompromisse eingehen darf.

Interview: Frank Brenner

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