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Elmar Imanov

„Das Leben ist absurd, nicht der Film“

19. August 2025

Regisseur Elmar Imanov über „Der Kuss des Grashüpfers“ – Gespräch zum Film 09/25

Elmar Imanov wurde 1985 in Baku in Aserbaidschan geboren, wuchs aber seit seinen Teenagerjahren in Köln auf. Vor fünfzehn Jahren hat er damit begonnen, Kurzfilme zu realisieren. „Die Schaukel des Sargmachers“ aus dem Jahr 2012 nahm an über 100 internationalen Filmfestivals teil und gewann über 40 Preise. Für sein Langfilmdebüt „End of Season“ erhielt er u.a. den Fipresci- und den Debütfilmpreis in Rotterdam und den Jurypreis beim ArtHouse Film Festival im georgischen Batumi. Am 21. August startet bundesweit sein zweiter Langfilm „Der Kuss des Grashüpfers“ in den Kinos, in dem Imanov persönliche Erfahrungen fiktional verarbeitet hat.

choices: Herr Imanov, Sie haben bei „Der Kuss des Grashüpfers“ auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen. War diese Intimität der Geschichte eher hinderlich oder eher inspirierend?

Elmar Imanov: Für mich war diese Nähe eher eine Energiequelle. Natürlich ist es manchmal schmerzhaft, so nah an den eigenen Erfahrungen entlangzugehen – aber genau diese Intimität hat den Film getragen. Wenn ich das nicht gespürt hätte, wäre es nur eine Konstruktion geworden. Es war nicht hinderlich, sondern ein Motor: Weil es um etwas ging, das mich selbst zutiefst bewegt hat. Es war für mich wie eine emotionale Apokalypse und deswegen immer präsent. Aber ein Film entsteht durch viele unterschiedliche Erfahrungen. Auch wenn eine bei diesem Film im Zentrum steht, geht es doch um viele andere ebenso.

Die Herangehensweise ist poetisch-absurd und trägt viel zur Originalität der Geschichte bei. Haben Sie sich hier von Vorbildern inspirieren lassen?

Ich glaube, es ist eher das Leben selbst, das absurd ist, nicht der Film. Natürlich begleiten einen immer Bilder, die man gesehen hat – von Fellini bis Kaurismäki –, aber beim Schreiben denke ich nicht an Vorbilder. Es ist mehr wie ein Echo von Dingen, die im eigenen Inneren schon lange da sind. Die Absurdität entsteht aus der Realität, wenn man sie nur leicht verschiebt.

Der menschengroße Grashüpfer ist das deutlichste absurde Element der Geschichte. Was steckt dahinter und warum gerade ein Grashüpfer?

Der Grashüpfer kam ganz intuitiv. Für mich ist er ein Symbol für Leichtigkeit und für das Unkontrollierbare, für Rastlosigkeit. Ein Insekt, das plötzlich vor einem auftaucht, einen erschreckt, aber auch faszinierend ist. In der Größe eines Menschen wird er zu einem Fremdkörper, etwas Bedrohlichem und zugleich Verspieltem. Er gehört genauso zu der Welt dazu wie alles andere auch. Er steht auch für Bernard, den „alten“ Bernard, der sich im Laufe des Films angesichts des drohenden Verlustes des Vaters verändern muss. Mit der Veränderung verschwindet auch der Grashüpfer.

Es fällt auf, dass das Sounddesign im Vergleich zu anderen Filmen reduziert ist. Welche Idee steckt dahinter?

Jascha Viehl, Kyan Bayani und ich, wir sind dem Film gefolgt. Bei Dialogen, wenn es um etwas geht, verschwinden langsam die Geräusche der Atmosphäre, z.B. im Café die Geräuschkulisse der anderen Gäste, auch alle Komparsen tragen Graustufen. Nur Protagonisten haben Farben an. Dadurch entsteht ein Sog in das Innere der Figuren. Wir sind dann ganz nah bei der Stimme. Die Musik ist immersiv und bewegt sich im Kinosaal von Lautsprecher zu Lautsprecher und ist aus der Stimme von Bernard konstruiert. Der Sound hat hier dieselbe Wichtigkeit wie auch das Bild von Borris Kehl.

Der zweite Langfilm ist oft deutlich schwerer zu realisieren als der erste. War das auch bei Ihnen so oder haben die großen Festivalerfolge von „End of Season“ geholfen?

Jeder Film hat seine eigene Welt. „End of Season“ haben wir fast ohne Geld gemacht, während wir auf Unterstützung gewartet haben. Danach kam noch die Pandemie. „Der Kuss des Grashüpfers“ sollte mein Debüt werden und war viel komplexer – emotional, aber auch finanziell und künstlerisch. Jedes Gewerk musste innovativ sein. Das ist eine große Herausforderung und ein großes Glück zugleich. Erfolge helfen natürlich weiter, aber man darf sich da nicht dran festhalten. Zumindest muss ich auch immer ein künstlerisches Risiko eingehen, um den Film als Medium lebendig zu halten. Und versuchen, das mit jedem Film auf eine andere Weise zu erweitern, und damit Menschen im besten Falle zu inspirieren. Ein guter Film ist für mich einer, aus dem man herauskommt und etwas fühlt – etwas fühlt, was man nicht definieren kann. Und dann beginnt man, es neu zu definieren und sich dadurch auch selbst ein wenig zu verändern oder neu kennenzulernen.

Sie haben Teile des Films in Köln gedreht, wo Sie seit Ihren Teenagerjahren lebten. Wie wichtig war die Verortung der Geschichte in Köln und welche Aspekte der Stadt wollten Sie zeigen?

Köln ist für mich keine Kulisse, sondern ein Teil der Erinnerung. Ich wollte nicht das Postkarten-Köln zeigen, sondern die Zwischenräume – die Architektur, die manchmal streng wirkt, manchmal absurd. Orte, die mich geprägt haben. Es war aber auch nicht wichtig, wo der Film spielt. Man muss sich immer fragen, wo man ist. Denn unsere subjektive Wahrnehmung lässt uns manchmal in derselben Stadt bewegen und innerlich springen wie ein Grashüpfer von Ort zu Ort, von einem emotionalen „Ort“ zu einem Ort der Erinnerung zum Beispiel. Wenn wir in einer Bahn sitzen und über die Kindheit nachdenken oder uns öffentlich mit jemandem streiten und die Menschen in der U-Bahn zu Möbeln werden, die man verschieben kann.

Wie sind Sie auf den Hauptdarsteller Lenn Kudrjawizki gekommen, der sich schon in internationalen Produktionen einen Namen gemacht hat?

Mit Lenn verbindet mich ein biografischer Hintergrund – wir sind beide in der Sowjetunion geboren, wir haben beide früh den Vater verloren. Als wir uns begegnet sind, war sofort eine Art Verwandtschaft da. Unsere Eltern waren befreundet. Ich wusste, dass er Bernard verkörpern kann, weil er diese Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke in sich trägt. Und er hat eine ungeheure Präzision, die mir erlaubt hat, die Figur immer wieder neu zu denken. Bernard ist ja auch immer anders, abhängig von der Person und dem Ort, mit dem er kommuniziert: mit Agata, mit seinem Vater Carlos und mit den Institutionen.

Arbeiten Sie an einem neuen Projekt?

Ja, diesmal ist es eine Komödie mit ein paar Robotern drin. „Carlas Enzo“, mit meinem Ko-Regisseur Adel Oberto aus Italien. Der Film spielt in einer italienischen Kleinstadt und erzählt über selbstgewählte Familie, eine platonische Liebe zwischen einer Teenagerin und einem einsamen Mann. Wir hoffen, dass wir nächstes Jahr mit den Vorbereitungen beginnen können.

Interview: Frank Brenner

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