Weltmarktführer
Deutschland 2004
Regie: Klaus Stern
Lehrstück und Zeitgeistdokument
juggernaut (162), 18.02.2005
Da ist sie wieder, die ?New Economy?, die größte Luftblase aller Zeiten. Gerade erst ein paar Jahre her und doch scheinbar schon Ewigkeiten zurückliegend: Der emphatisch-euphorische Tonfall und Blick, und jene revolutionäre Aufgeregtheit, die vor vier, fünf Jahren in der IT-Industrie herrschten. Alle Manierismen, die einem damals schon auf die Nerven gehen konnten und heute als Klischee abgelegt scheinen, werden hier noch einmal vorgeführt: Das inszeniert familiäre Miteinander in den Firmen, die unsäglichen Motivationsrituale und -sprüche inklusive gegenseitigem Abklatschen, Daumen nach oben recken, dämlich grinsen und täglicher Wahl des besten Mitarbeiters auf der Messe, der die meisten neuen ?Leads? (=Geschäftskontakte) geschafft hat, und natürlich ? so was darf bei einem Rückblick auf die ?New Economy? einfach nicht fehlen ? stößt eine Vertriebstante vor laufender Kamera auch noch ein ?Tschaka? aus. Ebenso unvermeidlich ist die ganze Anglizismen-Grütze. Einiges davon scheint ja inzwischen ? hoffentlich ? schon Neusprech-Geschichte zu sein, bei anderem, das sich offenbar hartnäckig hält wie ?Wir schaffen den Turnaround!?, möchte man am liebsten sofort Fersengeld geben.
Manche Stellen in diesem Film sind so peinlich, dass man im Boden versinken möchte, zumindest aber für einen Moment den Blick von der Leinwand abwenden muss. Schauriger Höhe- bzw. Tiefpunkt ist die gleichermaßen hohle wie pompöse Präsentation eines natürlich sensationellen neuen Mobiltelefons mit weltweit einzigartiger Verschlüsselungstechnologie. Dann wieder kann man über die kaum fassliche Mischung aus Naivität und Traumtänzerei aller Beteiligten, Mitarbeiter und sich betrogen fühlende Anleger inklusive, nur noch den Kopf schütteln (Oder mit dem Kabarettisten Volker Pispers den ehemaligen Aktionären zurufen: ?Ihr Geld ist nicht weg. Das haben jetzt nur andere!?). Das Schlimme ist: Es ist alles tatsächlich so passiert! Und kann sich in einer auf immerwährendes Wachstum geeichten Gesellschaft und Volkswirtschaft jederzeit wiederholen.
Die Geschichte über den ?Weltmarktführer? Tan Siekmann und sein Unternehmen ?Biodata? ist so real (und streckenweise so privat), dass es fast weh tut. Was natürlich nur für den Film spricht, der in einer ganz anderen Liga spielt als eine so genannte ?Reality-Show? wie ?Big Boss?. Die Schadenfreude über den Absturz eines überheblichen New-Economy-Phantasten ist denn auch nur verhalten ? und wird beim Blick auf das aktuelle Personal der Old Economy zusätzlich getrübt. Da ist beispielsweise eine Figur wie Josef Ackermann bei der Deutschen Bank weiterhin in Amt und Würden. Dabei ließe sich doch aus einer Langzeitbeobachtung von Kollege Ackermann beim Ein-Euro-Jobben prima ein weiterer lehrreicher Wirtschaftsdokumentarfilm herstellen.
Etwaiges Mitleid mit den Acker- und Siekmännern kann man sich übrigens sparen. Das sind keine kultivierten, kunstsinnigen, gebildeten und charmanten Gentleman-Schurken, wie man sie ? wahrscheinlich ausschließlich ? aus Spielfilmen kennt. Diese Leute treibt wie alle (Möchtegern-)Weltmarktführer vor allem eine Eigenschaft an: Gier nach Größe. Sonst nichts.
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Der Kurzfilm im Rampenlicht
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2024 – Vorspann 05/24
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Kölner Filmpalast – Foyer 04/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Viel Spaß beim Film“
Vom Ende der Platzanweiser:innen – Vorspann 04/24
Was will der Lama mit dem Gewehr?
Start: 1.8.2024
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Was läuft im Kino?
Über die Programmierkunst echter und gespielter Helden – Vorspann 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
„Man kann Stellas Wandel gut nachvollziehen“
Jannis Niewöhner über „Stella. Ein Leben.“ – Roter Teppich 02/24
Prognose: Lachstürme
Die Komödie findet endlich ins Kino zurück – Vorspann 02/24