Es ist wirklich kein Wunder, dass sich Nemorino so schwertut mit den Frauen. Er sieht nicht nur aus wie ein Trottel, er benimmt sich auch wie einer. Mit Süßigkeiten will er die Aufmerksamkeit der hübschen Adina wecken – was gründlich in die Hose geht. Adina ist ein Nerd und interessiert sich nur für ihre Bücher. Nemorinos Chancen als simples Gemüt stehen mehr als schlecht. Denn die Nebenbuhler des hinterwäldlerischen Jungbauern sind ausgerechnet schneidige Gardesoldaten. Da kann nur noch eines helfen: ein Liebestrank.
Gaetano Donizetti gelang mit seinem innerhalb weniger Wochen komponierten Zweiakter eine der beliebtesten Opern der Belcanto-Epoche – gleichermaßen beim Publikum wie bei den Regisseuren. Denn die simple Story vom Bauerntölpel, der unerreichbaren Angebeteten und dem unüberflügelbaren Nebenbuhler lässt sich nach Herzenslust und ohne Verrenkungen an jeden Ort und in jede Zeit verlegen. Der Gelsenkirchener Musiktheater-Intendant Michael Schulz geht einen anderen Weg und tritt den Beweis an, dass sich dem Liebestrank sogar noch ein wenig Tiefgang verleihen lässt, ohne der Komödie ihre Leichtigkeit zu nehmen. Denn Schulzens hinzugefügte Botschaft ist eine durch und durch positive.
Der schneidige Nebenbuhler Belcore, der in Schulzens Version gleich in neunfacher Ausfertigung auftritt, bringt Farbe und Freude in eine zuvor freudlose, irgendwie ausgebrannte Welt. Mit einer großen Säge dringt die Frohsinnsgarde durch den Boden ein, streift ihre farblosen Overalls ab und steckt sich prächtige bunte Federn an die Hüte (Kostüme: Renée Listerdal): „Keine Frau widersteht dem Anblick eines Helmbusches.“ Unwiderstehlich macht den Trupp allerdings nicht nur das farbenfrohe Outfit, sondern das Auftreten in wirkungsvollen Choreografien von Sebastian Schiller, die dann auch erklären, warum es dieses Mal neun Belcores sein müssen. Am Ende des ersten Aktes erlebt die gute Laune im Wortsinn ihren Durchbruch: Spektakulär bricht ein prächtiger Kronleuchter durch die Decke des düsteren, heruntergekommenen Ballsaals (Bühne: Dirk Becker).
Auch musikalisch stimmt einfach alles: Ibrahim Yesilay ist ein wunderbar lyrischer Tenor mit Schmelz und absoluter Höhensicherheit, der dazu noch sehr überzeugend den liebenswerten Trottel gibt. Dongmin Lee singt mit leuchtendem jugendlichen Sopran und makellosen Koloraturen eine absolut ebenbürtige Adina. Michael Dahmen gibt als Belcore einen stolzen Einfaltspinsel, dessen Bariton durchaus für die ganze Belcore-Truppe reicht. Joachim Gabriel Maaß schließlich bekommt als Quacksalber Dulcamara einen glamourösen Auftritt im Stile einer Jahrmarktattraktion – und glänzt einmal mehr mit seinem komischen Talent. Die erfrischenden Auftritte der Solisten gelingen auf der Grundlage einer sehr vitalen Leitung von Thomas Rimes mit einer lustvoll aufspielenden Neuen Philharmonie Westfalen.
„L’elisir d’amore“ | R: Michael Schulz | Sa 7.7. 19.30 Uhr | Musiktheater im Revier Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
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