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I like America

29. Januar 2011

Wortwahl 02/11

Gibt es irgendwo auf diesem Planeten ein polarisierenderes Gebräu aus genialischem Wahnsinn und fehlender Leidenschaft als in dem kontinentalen Schmelztiegel namens Vereinigte Staaten von Amerika? Im Kleinen: maybe. Nicht zuletzt wir Deutsche haben ja bewiesen, dass sogar provinzpolitische Randerscheinungen im Falle irreparablen Größenwahns bisweilen mehr als nur eine bizarre Anekdote zum verqueren Weltenlauf beitragen können. Doch grundsätzlich gilt: Selbst untergegangene, nur langsam wieder auf die Beine kommende Großmächte hecheln bis dato noch dem Vorsprung hinterher, den sich die USA im vergangenen Jahrhundert erobert haben. Zugegeben: auf doppelbödigem Grund, aber darum geht es ja. Was hilft es, zu Heuschrecken mutierte Wirtschaftscowboys an den Pranger zu stellen, wo wir ihnen doch höchstselbst mit unserer liberalen Sozialökonomie Tür und Tor geöffnet haben? Blauen Auges rettet ein jeder seine Pfründe, schnauben wir verächtlich über den angeblich auf der anderen Seite des Teiches grassierenden Stumpfsinn und verhehlen, dass unser eigenes Narbengewebe dem des verhöhnten Gegenübers längst erschütternd ähnelt. Dabei sollten wir selbst durch die geschwollenen Lider noch erkennen, in welch Niederlage wir taumeln.

Immer wieder erkenntnisreich; gerade in diesem Kontext: ein Blick auf die nüchtern reflektierenden Fotografien eines Walker Evans. „Decade by Decade“ (Hatje Cantz) hat er von den 20ern bis in die 70er Jahre hinein auf unprätentiöse Weise den „American Way of Life“ festgehalten. In vermeintlich eleganter Banalität, schlichter Schönheit und doch dräut einem der Culture Clash, der sich unweigerlich in dieser idyllisch anmutenden Kulisse Bahn brechen muss. / Ein scheinheiliges Idyll, heutigen europäischen Zuständen nicht unähnlich, das kaum einer gnadenloser abzufackeln versteht als der von den blutigen 60ern besessene James Ellroy. „Blut will fließen“ (ullstein) schreit uns denn auch das hasserfüllte Finale seiner Underworld-Trilogie entgegen und lässt in seiner infernalischen Mischung aus korrupten FBIlern, rassistischen Cops und schwarzen Verrätern keinen Stein auf dem anderen. Built to destroy, so läuft das nun mal mit Kartenhäusern. Allerdings lassen sich diese gegenüber erdbebensichereren Konstrukten auch weitaus schneller wieder hochziehen. / Logo, dass dies zur Nachahmung einlädt, will doch ein jeder sein Stück vom Kuchen abhaben. So erweist sich nicht nur die amerikanische Nation, sondern auch der Bürger selbst als unverwüstliches Stehaufmännchen im Sinne seiner calvinistischen Ideale. Wie smart nimmt sich da der gemeine Gangster aus, der sich im Gegensatz zur manisch gesetzestreuen Exekutive beständig seiner Fehlbarkeit zwischen humanistischen Idealen und Überlebenstrieb, eigenen Wünschen und Grenzen bewusst ist. Ein menschliches Rührstück, das auch Elmore Leonards kurzweilige (Ex-)Knacki-Ballade „Road Dogs“ (Eichborn) in irdischer Laszivität offenbart, indem es trieb- wie sehnsuchtsgesteuert die Untiefen des Seins auslotet.

Wer hier von Hollywood-Kitsch nölt, hat sich nicht die wahrlich rührselige Annäherung an diese alte Neue Welt der Schweizerin Zora Del Buono zu Gemüte geführt: So akkurat, wie sie dem Leser die schwülstig-schöne Szenerie Georgias vor Augen führt, als so banal entpuppt sich leider das voodooeske Schauermärchen um die geheimnisvolle „Big Sue“ (mare), in das sich ein verstrahlter Schriftsteller-Sohn und eine in sich selbst verlorene Journalistin aus dem deutschsprachigen Herzen Europas verstricken. Vom Zauber gebannt, Welt verkannt. / Der indianisch stämmige Kanadier Joseph Boyden hingegen weiß, wovon er spricht, wenn er „Durch dunkle Wälder“ (Knaus) die Vergangenheit seiner Vorfahren durchmisst – und mit seinem feinsinnig gewebten Handlungs- und Personengeflecht beweist, dass man in Nordamerika kulturbeflissenen Großmäulern nicht nur mit hartgesottenen Geraden, sondern auch mit schöngeistigen Haken eben dieses zu stopfen versteht. Aber: Verlieren will gelernt sein.

LARS ALBAT

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