Beim International Distribution Summit in Köln diskutierten unabhängige Verleiher gerade über die richtigen Strategien, internationale Filme an die Frau und an den Mann zu bringen. Es ist ja kein Geheimnis, dass das Kinopublikum nach den Corona-Lockdowns noch nicht vollzählig wieder in die Theater zurückgekehrt ist oder sich ganz schön bitten lässt.
Wie aber kann das Bitten nun aussehen? Mit speziellen Marken- und Zielgruppenstrategien soll einmal die Besucherfrequenz erhöht werden, wobei eben nicht nur Filme oder Filmstudios Marken sein können, sondern natürlich auch die Kinos mit ihren gut kuratierten Programmen. Wenn ein Independent-Studio wie A24 auf ein seit Jahrzehnten bekanntes Filmkunstkino trifft, kann eigentlich nichts schief gehen.
Auf der anderen Seite stehen die besonderen Filme, die heutzutage zwar immer noch durch Mundpropaganda und Kritiken, aber eben auch sehr stark durch emotionale Bilder transportiert werden. Auf Schulhöfen und auf der Arbeit inklusive Home-Office werden weniger coole Sprüche wie vor 30 oder 40 Jahren geteilt, sondern handfeste Videos und Links. Am besten kommt am Montagmorgen natürlich immer noch ein Satz wie „Wir waren am Wochenende in ‚Triangle of Sadness‘. War super. Musst du dir angucken!“
Zwischen dieser allgemeinen Markenführung und speziellen Leuchtturm-Filmen versuchen die Kinos mit Premieren samt Filmschaffenden, Previews und Themenreihen das Publikum anzulocken. Auch beim Vorverkauf tut sich einiges, wenn Kinos die ersten Vorstellungen eines Neustarts schon zwei Wochen im Voraus buchbar machen.
Das Kino lebt von Überraschungen. Und nichts ist schwerer als jeden Tag und jede Woche solche Überraschungen zu servieren und schmackhaft zu machen. Andererseits hat dieses Jahr bereits einige Überraschungen zu bieten: „Everything Everywhere All At Once“ läuft seit einem halben Jahr in den Kinos, Doris Dörrie hat mit „Freibad“ endlich wieder die 150.000-Besucher-Grenze passiert, Lars Jessens norddeutscher Coming-Home-Film „Mittagsstunde“ entwickelt sich zum Dauerbrenner.
Und dann war da Anfang des Jahres noch „Abteil Nr. 6“, der ausgerechnet zum Beginn des Ukraine-Krieges in die Kinos kam, und in dem eine junge Finnin im Zug von Moskau Richtung Murmansk gondelt – mit einem russischen Proleten an ihrer Seite.
Der Film offerierte eine Reise durch Russland, wie sie für viele Menschen auf absehbare Zeit nicht mehr denkbar ist. Es war fast so, als hätte das Publikum das gewusst und wollte den Film genau deswegen sehen. Ein letzter Blick auf eine scheinbar kleine Geschichte in einem russischen Zug, bevor alles vom Krieg zugeschüttet wird. Auch dies eine alte Marketing-Weisheit: Unterschätze niemals das Publikum.
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