Sommer, das heißt: Sommerurlaub. In der Luft liegt Grillgeruch, eine erholungswütige Masse verstopft die Autobahnen, die Freibäder – sofern sich die Stadt ein solches noch leisten kann – werden belebt durch eine Mischung aus Geschrei, Platschen und Pommes Majo. Dann aber das große Sommerloch. Da Vertreter aus Politik, Sport und Kultur sich in ihre Sommerpause zurückziehen und für die Medien keine Schlagzeilen generieren, drucken stattdessen die großen, bunten Blätter die Mutter aller Deutschen in sportlicher Kleidung ab und bringen Fernsehsender schwülstig warme Sommerromanzen in die Abendunterhaltung. Setzen auch unsere Lichtspielhäuser auf das Lückenbüßerprogramm? Das aktuelle Filmprogramm in den Ruhrgebietskinos straft das groß beschriene Sommerloch Lügen, wie die folgenden Seiten dieser Ausgabe beweisen. Zudem machen sie sich mit zahlreichen Open Airs die sonst kinofeindlichen Eigenschaften des Sommers zu eigen. Passend zur Jahreszeit gibt es daher einen kleinen lockeren Sommerreiseführer für kinobegeisterte, daheim gebliebene Freiluftgänger.
Den Anfang der Freiluftsaison macht das UNESCO-Welterbe Zollverein, das für viele das Wahrzeichen des Ruhrgebiets ist. Am Werksschwimmbad auf der Kokerei geht es am 2. Juli ab Einbruch der Dunkelheit programmatisch mit dem Pixarfilm „Oben“ in die Nacht hinein. Ebenfalls dem Anlass angemessen macht das Tor zum Sauerland, Hagen, mit „Magic in the Moonlight“ am 10. Juli im Kino Babylon weiter. Der kleine Hinterhof des feinen Programmkinos liegt unweit des allgemein als schäbig bekannten Hauptbahnhofes im alternativen, multikulturellen Altbau-Viertel Wehringhausen. Kein Wahrzeichen, kein großes Symbol, einfach nur gemütlich und einladend. Ähnlich denkt auch das Endstation Kino in Bochum-Langendreer, wenn es am 11. Juli seinen versteckten Hinterhof mit dem 80er Hit „Ghostbusters“ öffnet und in den Wochen danach zu einer Erkundung Bochums einlädt, wenn es weitere Orte in der Stadt Open Air bespielt. Wie beliebt Kino im Hinterhof ist, zeigt das Fiege Kino Open Air. Zum 17. Mal zeigt die Bochumer Privatbrauerei auf ihrem Gelände jeden Tag, über einen Monat hinweg Filme bei Bier und Currywurst. Den Start macht am 16. Juli Jahr der Dokumentarfilm über das bekannteste Künstlerkind des Ruhrgebiets: „Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“. Dagegen wieder groß aufgezogen, mit vielleicht der schönsten Industrieromantik geht das 40-tägige Stadtwerke Sommerkino in die nächste Runde. Seit 1996 veranstalten das Filmforum und der Landschaftspark Duisburg-Nord das frische Filmfest in der hiesigen Gießhalle. In diesem Jahr legen die Musiker von trio glycerin los und begleiten am 15. Juli die Stummfilm-Groteske „Die Bergkatze“ aus dem Jahr 1921. Nicht ganz so weit zurück in der Filmgeschichte reist die Lichtburg Oberhausen. Zusammen mit dem K14 zeigt es im Hinterhof (!) Kino aus sieben Jahrzehnten. Als erstes schauen sich am 18. Juli Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann in die Augen.
Und als wäre all dies nicht genug, kommen im August noch weitere Kinos in Dortmund, Herne und Essen in der Reihe der Freiluftveranstalter hinzu. Von Sommerloch und schwülstigen Lückenbüßern kann also im Ruhrgebiet keine Rede sein. Tipp: Es lohnt sich, mit dem Fahrrad über die schönen Radwege zum Open Air zu fahren. Licht dabei natürlich nicht vergessen!
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