Zum Glück ist Essen so ein schöner Urlaubsort – sonst hätte Steeles Kulturzentrum Grend womöglich am Donnerstagabend leer gestanden. Denn die Liebe zur Industriestadt im Herzen der Metropole Ruhr brachte Valérie Jammes erst in den Schulferien und schließlich langfristig von Orléans nach Deutschland, wo sie nun mit dem Frankreich-affinen Martin Weyer-von Schoultz und ihrem aktuellen Programm „Liebenslang – die Zweite“ die Ohren der einheimischen Musikbegeisterten verwöhnt.
„Liebenslang – die Zweite“, weil es die Fortsetzung zum ersten „Liebenslang“-Programm ist. Und wie schon das vorherige Programm beschäftigt sich dieses mit alten und neuen Liedern über die Liebe, meist auf Französisch, teilweise aber auch in deutscher Sprache. Val’n’Tin, wie sich Valérie und Martin nennen, wollen nicht nur Lieder spielen: viel mehr geht es ihnen darum, ihre Liebe zur Musik und den Ländern Deutschland und Frankreich in Geschichten zu verpacken und diese Gefühle und Eindrücke ihren Zuhörern zu vermitteln. Deshalb kann bei einem Konzert des Duos auch nicht bloß von Musik geredet werden; die Ankündigungen der sympathischen Sängerin sind ebenso Teil des Bühnenprogramms und als Erweiterung der Auftritte nicht mehr wegzudenken.
Das Konzert im Zeichen der Liebe fand in der Kneipe des Kulturzentrums statt – nicht im ersten Stock, wie die Empfangsdame selbst fälschlich annahm. Denn Val’n’Tin spielten im Rahmen des jeden Donnerstag stattfindenden „Kneipe live“-Events, also zwischen den Tischen und Stühlen der Gäste und ohne abgegrenzte Bühne. In intimer Atmosphäre trotz vollen Hauses gab es dann ein paar Stunden Frankreich, serviert lediglich mit E-Piano und Gesang.
Offizieller Konzertbeginn war um 20 Uhr. „Uns wurde aber gesagt, wir sollen erst um Viertel nach acht anfangen“, fügte Valérie vor Beginn des Konzertes belustigt hinzu. Allzu lange ließen sie ihr Publikum dann aber nicht warten. Bevor sie den musikalischen Abend mit „À quoi ça sert l'amour?" („Wozu ist die Liebe gut?“) einleiteten, stellte Valérie das Programm vor und erklärte seinen Hintergrund: „die Liebe ist die stärkste Macht der Welt.“ Auf eine „Achterbahn der Gefühle“ wollten sie das Publikum mitnehmen. Los ging es mit Edith Piafs komplizierter Frage und der Antwort: Liebe macht das Leben lebenswert.
Melanie Cs „First Day of my Life“ wurde kurzerhand auf Französisch vorgetragen, und auch an „S’il suffisait d’aimer“ von Celine Dion wagten sich Val’n’Tin heran. Zur Stimmgewalt der Pop-Ikone fehlt Valérie noch ein Stück, doch für gute Musik braucht es keinen Stimmumfang von fünf Oktaven. Valérie versteht es, ihre Stimme passend zu den Stücken und Emotionen zu variieren: ihr Gesang kommt manchmal klar und durchdringend, zuweilen sanft und zerbrechlich und phasenweise auch etwas dünn daher, vermittelt aber stets ganz viel Gefühl. Obwohl das Duo lediglich ein elektrisches Klavier mit ein wenig zusätzlicher Technik in Form einer zuvor aufgenommenen Klavier- oder Bassspur zur Verfügung hatte, füllte es mit seiner Musik problemlos den Raum und nahm das Publikum für sich ein. Auch wenn dieses überwiegend als älter bezeichnet werden konnte, hatten Val’n’Tin auch für jüngere Popliebhaber etwas in petto: „Je veux“ von ZAZ, gleich zwei Lieder des Rappers Stromae („Alors on danse“ und „Papaoutai“) und mit „Aurelie“ von Wir sind Helden ein thematisch perfekt passendes deutsches Stück. Diese Songs interpretierten sie in ihrer „Chanson Franjazz“ genannten Musikrichtung teilweise komplett neu.
Auch an Witz fehlte es dem Abend nicht, denn Val’n’Tin, die an diesem Tag neben ihrem fünften Jubiläum auch Valéries Geburtstag feierten, würzten ihren Auftritt mit humorvollen Anekdoten aus Frankreich und Deutschland. Die in Berlin geborene und in Frankreich aufgewachsene Sängerin wappnete die Besucher zum Beispiel für einen Partyabend im Land der Liebe: „Die Franzosen sind klein in der Statur, aber groß im Flirten.“ Schnell wurde sie zum großen Sympathieträger und scheute auch nicht davor, Frankreich auf die Schippe zu nehmen, als sie ihren Pianisten sehr zur Belustigung des Publikums kurzerhand in eine Baskenmütze steckte und ihm Baguette und Chardonnay in die Hand drückte.
Ihre Geschichten erzählten Valérie und Martin mit so viel Herz, wie sie ihre Musik spielten. Sie coverten nicht nur Lieder, sondern belebten sie auf ihre eigene Weise neu. Abwechslung kam durch lange Erzählungen und den Gastauftritt einer Bekannten Valéries, die für ein Medley ihren Gesang beisteuerte. Ganze schauspielerische Szenen hatte das Duo einstudiert. So störte es dann auch nicht, dass die Besucher eines Theaterstücks im angrenzenden „Freudenhaus“ die Kneipe in der Spielpause als Ort des Austauschs nutzten und den Geräuschpegel anhoben. Mit fesselndem Programm, viel Humor und ein paar kleinen, aber sympathischen Fehlern gestalteten Val’n’Tin einen abwechslungsreichen Abend und schickten ihre Zuhörer sogar ein bisschen schlauer nach Hause – das kann so nicht jede Band von sich behaupten.
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