Kriege gibt es solange wie die Menschheit, das Genre des Kriegsfilms ist fast so alt wie das Medium selbst. Als erster seiner Art kann D.W. Griffiths „Birth of a Nation“ von 1915 gelten, filmtechnischer Meilenstein mit rassistischer Note über den Amerikanischen Bürgerkrieg der 1860er. Merkmale des Genres: Der jeweilige Krieg sollte nicht nur Vehikel für die Geschichte oder die Figurenentwicklung sein, sondern im Zentrum der Handlung stehen oder diese maßgeblich vorantreiben. 90 Minuten Schlachtengemetzel braucht es nicht, auch die militärische Ausbildung („Full Metal Jacket“), das Warten auf den Kampf („Das Boot“) oder die physischen wie psychischen Folgen („Geboren am 4. Juli“, „Die durch die Hölle gehen“) können ebenso Thema sein wie Satire erlaubt ist („Catch-22“).
Die Entwicklung des modernen Krieges seit 1945 spiegelte sich auch im Kino. Glorifizierende Heldenepen – schonungslose Anti-Kriegs-Parabeln wie „Im Westen nichts Neues“ (1930), „Wege zum Ruhm“ (1957) oder „Die Brücke“ (1959) ausgenommen – starben nicht aus, hinzu kamen ab den 1970er Jahren vor dem Hintergrund des Korea- und Vietnam-Krieges aber Filme, die den Krieg an sich in Frage stellten. Die Figuren vom Soldaten bis zum General wurden ambivalenter, gipfelten in fleischgewordenen Allegorien für den Wahnsinn des Krieges, wie ihn Colonel Kurtz aus „Apocalypse Now“ oder Seargent Bearnes aus „Platoon“ verkörpern.
Als Setting ist der Zweite Weltkrieg aber quantitativ noch immer dominant. Ende Juli kommt Christopher Nolans „Dunkirk“ in die Kinos, in dem es um die Schlacht im französischen Dünkirchen 1940 und die Operation Dynamo zur Rettung alliierter Soldaten geht. Vorab in die Kritik geriet „Dunkirk“ für seine milde US-amerikanische Altersfreigabe PG-13. Nolan beeilte sich zu versichern, dass „Dunkirk“ „kein Kriegsfilm“ und nicht besonders blutig sei. Das rief wiederum Empörung hervor, er verharmlose die Grausamkeiten des Krieges.
Ebenfalls um Dünkirchen geht es aktuell in Lone Scherfigs „Ihre beste Stunde“. Gemma Arterton wird hier dank Männermangel im britischen Filmbusiness 1940 zur Drehbuchautorin eines Propagandafilms. Die Bombardierung Londons und was der Krieg für die ZivilistInnen und die Emanzipation bedeutete, machen „Ihre beste Stunde“ zu keinem typischen Kriegsfilm, aber zu einem Film über das Kino in Zeiten des Krieges. In Sofia Coppolas neuem Werk „Die Verführten“ ist der Amerikanische Bürgerkrieg wieder eher Kulisse als Handlungsmittelpunkt.
Der Fokus auf den Zweiten Weltkrieg spiegelt vielleicht auch eine versteckte Sehnsucht nach eindeutigen Fronten. Eine klare Trennung in Gut und Böse lassen heutige Kriege nicht mehr zu. Anonyme Drohnentechnik steht terroristischen Einzelkämpfern gegenüber, zivile Opfer werden billigend in Kauf genommen werden. Der Filmkritiker und Medienwissenschaftler Georg Seeßlen bezeichnete diese Situation schon vor ein paar Jahren als „dritten, dezentralen Weltkrieg“, für den der Film keine einheitlichen Bilder – ob dokumentarisch oder fiktionalisiert – mehr finde. Partei ergreifen könnten Kriegsfilme dennoch, und zwar für die Menschen, so Seeßlen weiter. „Das ist alles, was das Kino gegen Krieg und gegen Propaganda machen kann. Und es ist eine ganze Menge.“
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