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Irene Langemann diskutiert ihren Film Pawlenski
Foto: Betty Schiel

Keine Angst

27. März 2017

Filmgespräch zum Dokumentarfilm „Pawlenski“ im Filmstudio Essen – Foyer 03/17

Essen, 25. März – Künstlerbiografien können nur dann gelingen, wenn FilmemacherInnen eine eigenständige Haltung finden und eine künstlerische Form, die den ProtagonistInnen angemessen ist und entspricht. Irene Langemann ist dies rundum geglückt mit „Pawlenski – Der Mensch und die Macht“, ihrer dokumentarischen Annäherung an den russischen Aktionskünstler Piotr Pawlenski, die sie im Essener Filmstudio mit dem Publikum diskutierte. Man spürt in ihren reflektierten Ausführungen, dass dieses Filmprojekt auch ein dringendes Anliegen für sie persönlich war, das nur mit außergewöhnlichem Engagement zu leisten war.

Piotr Pawlenskis Foto, das Portrait seines asketischen Gesichts mit zunähten Lippen, ging 2012 um die Welt. Mit dieser Aktion hatte er stumm und bildgewaltig gegen die Verhaftung der Pussy Riot-Aktivistinnen Stellung bezogen. Ab da verfolgte die Dokumentarfilmerin Irene Langemann mit immer größerem Interesse Pawlenskis symbolträchtige Auseinandersetzungen mit der russischen Staatsmacht. Auf seine publikumswirksamen, provokanten Aktionen vor Orten, die den Staat und seine repressiven Institutionen repräsentieren, folgt wie in einem einstudierten Szenario zunächst seine Verhaftung, dann der Prozess. All das ist für Pawlenski Teil seiner Performance, in dem Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Vollzugsbeamte und sämtliche Vertreter der Macht zwangsläufig Teil seines Spektakels werden, und er resümiert: „Die Macht hat sich dem Ereignis gefügt.“ Hier liegt die eigentliche Größe und Stärke seiner Aufsehen erregenden Aktionen, die auf der Gegenseite Ratlosigkeit auslösen. So kann man etwa einen Mann mit – im wahrsten Sinne des Wortes – zugenähtem Mund nicht verhören. Selbst Psychiatrie und Isolationshaft haben diesen Mann nicht gebrochen. Seine Briefe aus dem Gefängnis an Langemann zeugen davon. Er widersetzt sich der Einordnung als kriminell und wahnsinnig mit messerscharfen Analysen, die er vor der Presse, vor Gericht und in seinen philosophischen Abhandlungen formuliert. Irene Langemann zeigt sich tief beeindruckt davon, wie es Pawlenski gelingt, in minutiös durchgeplanten Aktionen Bilder von so starker visueller Kraft zu schaffen und damit diese Kunstfigur zu entwickeln: „Eine Figur des Schweigens, die die unglaubliche Hilflosigkeit gegenüber der Macht so deutlich zu Tage treten lässt.“

Pawlenskis Protest ist radikal und physisch, Foto: Presse

Zu dem Zeitpunkt als ein Untersuchungsrichter, der gegen Pawlenskis Aktion „Freiheit“ ermittelte, die Seiten wechselte und seinen Job kündigte, war für Irene Langemann klar, dass hier ein starker filmischer Stoff im Raum stand. Der Kontakt sei schnell geknüpft gewesen, zunächst über die sozialen Medien, dann eine Reise nach St. Petersburg, um den Künstler zu treffen. Nur drei Drehtage in Freiheit hatten die beiden gemeinsam; kurz danach wurde Pawlenski wieder verhaftet, und Langemann musste die dramaturgisch schwierige Frage lösen, wie man den Film überhaupt machen kann, mit einem abwesenden Helden, der an Gerichtstagen nur drei Minuten in einem Käfig der Presse vorgeführt wird. Langemann schildert ihr Unbehagen, dort inmitten einer Meute von JournalistInnen in den Saal zu stürzen, um überhaupt Bilder zu bekommen. Andere Drehs fanden ohne Genehmigung statt, sodass auch sie mehrfach den Druck der Polizei zu spüren bekam.

Langemann ergänzt, dass Piotr Pawlenski Anfang des Jahres in Paris politisches Asyl beantragte, als die Drohung ihn und seine Lebensgefährtin für zehn Jahre ins Gefängnis zu sperren offen ausgesprochen wurde. Man darf gespannt sein, welche Themen den politischen Aktionskünstler in Frankreich, fern der Heimat, interessieren werden. Langemann findet: „Pawlenski ist ja für jede Überraschung gut.“

Betty Schiel

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