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Tom Tykwer beim Dreh
Foto:© X Verleih / Foto: Tom Trambow

„Nicht jedes gute Buch muss zu einem Film werden“

31. März 2016

Regisseur Tom Tykwer über die Verfilmung von Dave Eggers' Roman „Ein Hologramm für den König“ – Gespräch zum Film 04/16

Der 1965 in Wuppertal geborene Filmregisseur, Drehbuchautor, Filmkomponist und Produzent Tom Tykwer ist Mitbegründer der Produktionsfirma X Filme Creative Pool. Seine bisherige Filmografie enthält u.a. „Lola rennt“ (1998), „Das Parfüm“ (2006), „The International“ (2009) und „Cloud Atlas“ (2012). „Ein Hologramm für den König“ startet am 28. April in den Kinos.

trailer: Herr Tykwer, wie sind Sie auf das Buch gestoßen?
Tom Tykwer: Ich kenne Dave Eggers schon ein paar Jahre, seit ich sein Buch „Weit gegangen“ gelesen habe – über Flüchtlinge in Ostafrika, das ich mit HBO in eine Miniserie verwandeln wollte. Das hat leider nicht geklappt, aber dadurch sind wir in Kontakt geblieben, haben uns angefreundet, und ich bin in den Genuss gekommen, immer relativ früh Vorabdrucke von ihm zu lesen. Es ist schwer zu erklären, ein geheimnisvoller Prozess, warum ein Buch zwischen den anderen, die man so liest, plötzlich einen Film entzündet im Kopf.

Was hat Sie in diesem Fall gereizt?
Ich las das Buch und empfand sofort eine Begeisterung für die Gegenwärtigkeit, das Akute des Stoffes, für die einfache und tolle Konzeption: Einen Mann, der aus der Bahn geworfen wurde durch die Veränderungen auf der Welt, die uns alle überrollen, in die Wüste zu schmeißen und mit einer unmöglichen Aufgabe zu betrauen, um zu sehen, welche Dynamik sich daraus entwickelt. Ich hatte sofort den Instinkt, dass das eine filmische Potenz hat, die sich vom Buch genügend unterscheiden würde, um die Verfilmung auch zu rechtfertigen. Ich finde nämlich nicht grundsätzlich, dass jedes gute Buch zu einem Film werden muss. „Ein Hologramm für den König“ ist eines, das in sich eine Visualität versteckt, die es gar nicht zu Ende exploriert und die nun das Kino weiterverfolgen darf.

Wie schnell hatten Sie Tom Hanks als Protagonisten vor Augen?
Ungefähr in der dritten Zeile auf Seite eins. Ich fand es dermaßen offensichtlich, dass er die perfekte Wahl für die Figur wäre. Denn es ist natürlich stark, einen uramerikanischen Optimisten, den Tom verkörpert, in so eine aberwitzige Sackgassen-Situation zu schleudern und zu sehen: Was macht der jetzt damit? Das setzt eine ungeheure Energie frei. Ein Amerikaner wie Tom Hanks ist eigentlich nicht aufgabebereit. Er muss aber irgendwann aufgeben, um neue Horizonte zu entdecken. Hinzu kam, dass ich gerade einen Film mit Tom gemacht hatte und wir uns sehr gut verstanden hatten, so dass wir vielleicht heimlich auf der Lauer lagen, um ein weiteres gemeinsames Projekt zu finden.

Sie haben im Vergleich zum Buch eine sehr direkte, überraschende Eröffnung gewählt, in dem „Once in a Lifetime“ von den Talking Heads eine prominente Rolle spielt…
Das ist ein prägender, geradezu quintessenzieller Song dieser Zeit, in der die Vermehrung von Eigentum, das Streben nach Karriere und das Bewahren von Statussymbolen als Lebensprinzip auf dem Höhepunkt war. Die Talking Heads beschrieben das und beschworen die Krise herauf, die aus dieser vermeintlichen Stabilität hervorgehen würde. Es war toll, jetzt zu sehen, wie visionär dieser Song war. Wir mussten den Text, den Tom anstatt David Byrne singt, nur minimal ändern. Es hat wahnsinnig Spaß gemacht, das zu drehen.

Es gibt diese Schlüsselszene, eine Wolfsjagd, in der Ihr Protagonist – im Gegensatz zum Buch – sein Gewehr sinken lässt.
Das ist eine komplexe Szene. Es ging darum, die Situation an manchen Punkten ein bisschen zuzuspitzen, weil wir uns thematisch in einem schwierigen Raum bewegen. Hier ist ein Amerikaner, der in ein muslimisches Land kommt, der sich überraschenderweise zunehmend besser zurechtfindet und eine große Nähe zu einzelnen Aspekten der Kultur erlebt. Dadurch glaubt er irgendwann, er könne sich dort fast bewegen wie ein Einheimischer. Im letzten Moment, wo er eine Grenze überschreiten würde, zieht er sich zurück und zeigt damit auch, dass er nicht ganz sein Bewusstsein darüber verloren hat, was sein kultureller Kontext ist im Vergleich zu dem seines neuen Freundes.

Also ist Ihr Alan Clay selbst ein bisschen wie der Wolf, der überraschend den Rückzug antritt.
Genau, als wären sie Partners in Crime. Das ist natürlich eine mit Subtext aufgeladene, symbolische Szene, die man sich als Situation aber gleichzeitig vorstellen kann. Für Alan ist das eine richtige Bewusstwerdung, dass er ab diesem Moment merkt, dass er den Boden unter den Füßen verloren hat und nach neuer Festigung sucht, die er nicht einfach irgendwo an sich reißen kann. Er muss eine eigene Lösung suchen, die näher an ihm dran ist und trotzdem beeinflusst ist von der Erweiterung des Horizonts, die er erfahren hat.

Welche Veränderungen gegenüber dem Buch waren Ihnen noch wichtig?
Das habe ich so nie bewusst betrieben, sondern nur in der Grundstimmung eine leichte Verlagerung vorgenommen. Nämlich die absurden Elemente und die fantastischen, grotesken Momente zu betonen und damit die Komödie zu stärken, die ich für den Film wichtiger fand als fürs Buch. Ich mochte die Chance, einen aberwitzigen, aber wirklich auch lustigen Film über den Abgrund, vor dem wir alle stehen, zu machen.

Ist der Tonfall der absurden Komödie die schlüssigste Haltung gegenüber der Globalisierung?
Da findet sich, glaube ich, jeder wieder. Dass wir auf unglaublich wackeligem Boden stehen. Dass sich alles anfühlt wie eine Zeitbombe, wir aber gar keine Vorstellung haben, um welche Zeiteinheit es geht, bis das System zusammenbricht, und dass das viele Menschen schon erreicht hat. Davon handelt der Film ja auch. Alan Clay steht gewissermaßen für eine ganze, für die analoge Generation. Das ist ein sich sukzessive zuspitzendes Drama eigentlich, das der Film ja – wie auch die Figur - sehr ernst nimmt. Er hat aber trotzdem keine Lust, deprimierend oder pessimistisch dabei zu werden. Weil es nicht nötig ist. Es gibt andere Wege, weiterzumachen.

Interview: Jessica Düster

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