Vor 175 Jahren fand der Arbeiter James Wilson Marshall auf der Ranch Neu-Helvetien, rund 120 Kilometer nördlich von San Francisco, ein Goldnugget. Der New York Herald berichtete im August über den Goldfund in Kalifornien. Ab da war kein Halten mehr: Hunderttausende strömten nach Westen. Wenige wurden reich – und die meisten nicht vom Gold. Levi Strauss und Jacob Davis zum Beispiel, die robuste Hosen an die Goldgräber verkauften, aus denen sie die vor 150 Jahren patentierten Jeans entwickelten. Die einheimischen Menschen wurden dagegen dezimiert: von geschätzt 150.000 Indigenen waren 1870 noch 31.000 übrig.
Der Rausch in Kalifornien dauerte nur fünf Jahre. Aber es folgten andere, in Colorado, Montana und am berühmten Klondike River in Alaska. 1910, als Giacomo Puccini den „goldenen Westen“ in seiner Oper „La Fanciulla del West“ beschwor, war die Zeit der Goldschürfer auf eigene Faust weitgehend vorbei. Bücher wie die von Jack London („Lockruf des Goldes“) schufen aber einen Mythos, den Puccini für seine „amerikanische“ Oper nutzte. Das „Milieu“ gefalle ihm, schrieb er in einem Brief, und er hoffe, eine „zweite Bohème“ zu schaffen.
Tatsächlich gelang Puccini mit der Uraufführung 1910 an der Metropolitan Opera New York ein großer Wurf, nicht zuletzt durch eine Luxusbesetzung mit Emmy Destinn (Minnie), Enrico Caruso (Dick) und Pasquale Amato (Jack Rance). Eine gewaltige Herausforderung also für ein Theater wie Hagen, wo Puccinis „Mädchen“ seit fast 60 Jahren nicht mehr zu sehen war. Die Stars in Hagen heißen Susanne Serfling (Minnie), Angelos Samartzis/James Lee (Dick) und Insu Hwang (Jack Rance).
Regisseur Holger Potocki schürft tiefer unter der Wildwest-Oberfläche und will die gebrochenen Menschen im Goldgräberlager schildern, denen nur Träume von Liebe, Geborgenheit und einem behüteten Leben geblieben sind. An der einzigen Frau im Camp, Minnie, machen sich die Sehnsüchte fest – und als zwischen ihr und Neuling Dick Johnson eine zärtliche Zuneigung offenbar wird, bricht sich der Frust und die Verzweiflung der einsamen Männer brutale Bahn. Für Minnie stellt sich die Frage, wer sie eigentlich ist und ob sich ihr Leben in ihrer Rolle im Lager erschöpfen soll. Mit GMD Joseph Trafton am Pult kleidet das Hagener Philharmonische Orchester eine Partitur in Klang, die zum Besten gehört, was Puccini geschrieben hat.
La Fanciulla del West (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) | 3. (P), 10., 21., 28.12., 20.1., 9.2., 11.3. | Theater Hagen | 02331 207 32 18
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