trailer: Herr Knorr, haben Sie kürzlich den Kölner Tatort gesehen? Rheinbrücken, Currywurst, kurz: viel Lokalkolorit. Macht es auch den Reiz von Mord am Hellweg aus, mit der Kulisse des Ruhrgebiets zu spielen?
Herbert Knorr: Das haben wir von Anfang an gemacht. Und zwar dort, wo keine Lesungen stattfinden. Wir waren etwa 1400 Meter unter Tage im Bergwerksschacht Lerche in Hamm für eine „Ladies Crime Night“. 200 Leuten waren da, alle mit Helm. Das war eine riesige Logistik. Wir wollten keine Männer, nur Frauen – mit der Musik und auf der Bühne: drei Saxophonistinnen und drei Autorinnen. So etwas wie diesen Gegensatz nutzen wir. Oder natürlich die Industriekulissen insgesamt. Wir machen inszenierte Lesungen. Jetzt z.B. hat die Autorin Alex Beer eine Geschichte verfasst, die in Wickede-Ruhr angesiedelt ist. Sie hat über eine Glashütte geschrieben, in der im 19. Jahrhundert das Glas für den Eiffelturm hergestellt wurde. Es gibt noch einen Rest von dieser Hütte: ein kleines Mauerstück und ein Fundament, auf dem heute eine Kung-Fu-Akademie ist. An diesen Ort gehen wir dann hin. Oder wir besuchen etwa eine Sauna für Wellness-Krimis.
Wasserglas-Lesungen sind also von gestern und ein Krimi-Festival braucht eine gewisse Inszenierung?
Ja. Das geht nicht immer, aber bei einigen Lesungen schon. In diesem Jahr haben wir ja hundert Jahre Weimarer Republik. Anfang November gibt es daher im Lokschuppen der Zeche Westfalen in Ahlen eine Zwanziger Jahre-Krimi Nacht mit einem Orchester, das Zwanziger-Jahre-Musik spielt. Unsere Auftaktveranstaltung ist auch keine klassische Lesung, sondern da möchten wir uns aufs Festival einstimmen, was wir immer unter ein Thema stellen. Letztes Jahr war es der Knast. Da hat Fritz Eckenga mit Joe Bausch als Kabarett-Duo durch den Abend moderiert: Eckenga war Knast-Direktor und Bausch war sein Best-Boy. Diesmal haben wir die Klinik. Im Sinne von: Wir wollen die Krimisüchtigen von ihrer Sucht befreien. Eckenga spielt den Chefarzt und Bausch seinen Helfer. Das ist eine Revue, wo wir Spannungselemente einbauen. Und darin stellen wir vor, was in den nächsten acht Festival-Wochen passiert. Wir haben auch einen Schotten, der einen Whiskey-Krimi geschrieben hat und dann machen wir eine Verkostung. Oder eine bayrisch-österreiche Nacht mit einem Origimal Zillertaler Musikduo, das auch Krimimusik auf Tirolerisch spielt.
Welche neuen Formate gibt es in diesem Jahr?
Wir versuchen, die Breite des Krimis darzustellen. Bei 200 Lesungen können Sie sich ja vorstellen, dass wir da einiges präsentieren. Neben internationalen Stars geben wir der nationalen Elite ein Forum. Außerdem gucken wir nach Newcomern. Das vierte ist das Regionale, etwa mit der Anthologie. Diesmal haben wir sogar noch eine Reihe „Westfalen kriminell“ aufgelegt, um zu zeigen: Westfalen hat sehr gute Krimischriftsteller.
„Neue Stimmen, neues Blut“ heißt die Reihe, mit der Sie junge Stimmen vorstellen möchten. Wie groß sind die Chancen für diese AutorInnen?
Das sind Leute, die in ein paar Jahren vielleicht mal Bestseller-Autoren werden. Wir hatten etwa Sebastian Fitzek bei uns im Programm, als ihn noch keiner kannte. Dafür ist er uns noch heute dankbar und kommt immer wieder. Deshalb hat er den „Victor Crime Award“ aufgelegt. 6.666 Euro stiftet er dafür. Sigrun Krauß (Mitglied der Festivalleitung, Anm. der Redaktion) und ich schauen auf Messen nach Nachwuchsstimmen, lassen uns von Verlagen beraten und suchen den Kontakt. Es geht darum, ein Gespür dafür zu entwickeln, was sich auf dem Markt tut.
Gibt es beim Nachwuchs gewisse Tendenzen?
Krimi-Autoren sind mehr und mehr bemüht, sich stärker sprachlich-literarisch einzubringen. Thomas Raab vertritt das schon seit Jahren. Oder Bernhard Aichner. Es gab immer schon welche, die literarisch sehr gut geschrieben haben. Das ist vielleicht ein Trend, den man beobachten kann. Die zweite Tendenz ist, dass der politische Krimi wieder stärker wird.
Sie meinen Autoren wie Wolfgang Schorlau oder Host Eckert, die sich etwa mit dem NSU-Komplex auseinandergesetzt haben?
Ja, beide sind auch in diesem Jahr bei uns. Aber auch noch einige mehr, die politische Themen aufnehmen. Das ist sicherlich ein Trend. Wenngleich: Krimi ist immer politisch. Das gilt für das gesamte Genre. Denn der Krimi kann am schnellsten reagieren, weil er vielleicht schneller geschrieben wird als andere Genres. Das Sensorium von Krimi-Autoren ist stärker für gesellschaftspolitische Themen. Die Wirtschaftskrise, Missbrauch oder die #metoo-Debatte, das findet man in den Krimis der letzten Jahre wieder. Da ist der Krimi in der Tat teilweise sogar vorausschauend.
In Zeiten von Trump, AfD und Co. bewegt sich also auch das Genre: von der Unterhaltung zur Politik?
Krimi war nie reine Unterhaltung, sondern schon immer gesellschaftspolitisch relevant. Natürlich ist das auch Unterhaltung und wird anders konsumiert: Da wird ein Fall erzählt oder eine Spannung aufgebaut, in die man sich hineinziehen lässt. Man weiß aber, dass man da am Schluss wieder rauskommt – es also immer gut ausgeht und der Böse irgendwie gefasst wird. Ganz selten sind es offene Geschichten.
Gibt es Programm-Highlights, die Sie ans Herz legen möchten?
Wenn Sie mich jetzt direkt fragen, sind das für mich die vier Präsentationen der vier Nominierten für den Europäischen Krimi-Preis. Ein Highlight ist auch die Abschlussgala. Da ist die wunderbare Autorin Candice Fox zu Gast. Mit den Krimi-Cops aus Düsseldorf wird auch für Humor gesorgt sein. Damit feiern wir den Abschluss am 10. November. Wenn ich eine besondere Empfehlung geben darf, dann die neuen Reihen: „Westfalen kriminell“ oder „Neue Stimmen - junges Blut“. Man sollte sich die Zeit nehmen, im dicken Programmheft etwas zu stöbern. Sie merken, ich kann wirklich nicht alles aufzählen.
Mord am Hellweg | 15.9. - 10.11. | Region Hellweg | Mord am Hellweg
Zur Person
Herbert Knorr ist Leiter des Westfälischen Literaturbüros in Unna e.V. und neben Sigrun Krauß (Stadt Unna, Bereich Kultur) einer der Festivalleiter von „Mord am Hellweg“. Der Literaturmanager veröffentliche selbst zahlreiche Sachbücher, Kurzgeschichten und Krimis.
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