Noch bevor es die „Pille danach“ 2015 rezeptfrei in der Apotheke gab, stand ich an einem Samstagabend im Aufnahmebereich eines Essener Klinikums und schrie eine Schwester an. Nicht weil sie erklärt hatte, dass das eine katholische Einrichtung sei, die „diese“ Pille nicht verschrieben dürfe. Ich wurde laut, weil sie sich weigerte, mir eine Liste auszuhändigen, auf der ich Gynäkolog*innen im Notdienst im Umkreis finden könnte. Erst als ich nebenbei fallen ließ, ich sei Journalistin, händigte sie mir widerwillig mit den Worten „Es ist nicht nett von Ihnen, mir zu drohen“ die Liste aus.
Meine Freundin, um deren Körper es damals ging, war nicht verantwortungslos (ich selbst hatte die Pille da bereits zweimal genommen, dank einer mir bekannten Ärztin war mir dieser Canossa-Gang aber erspart geblieben). Im Gegenteil. Das Kondom war gerissen, ob währenddessen oder beim Abziehen ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Ihre verantwortungsvolle Vorsichtsmaßnahme wurde dann von der Ärztin, in deren Praxis wir schließlich dank Liste landeten, wie folgt kommentiert „jetzt passen sie aber bitteschön mal besser auf!“. Ich frage mich bis heute, wie Schwester und Ärztin mit einem jüngeren, unsichereren Mädchen umgesprungen wären. Und hier ging es „nur“ um die Pille danach.
Denn manchmal bleibt ein Fauxpas unbemerkt und es entsteht eine ungewollte Schwangerschaft. Denn außer Enthaltsamkeit ist keine Verhütungsmethode zu 100% sicher. Ein Abbruch ist in Deutschland gemäß § 218 grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar, so steht es wörtlich im Strafgesetzbuch. Nur unter bestimmten Voraussetzungen bleibt der Eingriff bis zur 12. Woche straffrei. Liegt keine medizinische oder kriminologische Indikation vor – will die Frau das Kind einfach nicht bekommen – muss sie ein Beratungsgespräch bei einer staatlich anerkannten Stelle absolvieren und drei Tage warten, bevor ein Abbruch erfolgen kann. Bei ästhetisch-chirurgischen Maßnahmen gibt es übrigens keine Wartefrist. Der/die beratende Chirurg*in darf den Eingriff selbst durchführen. Eine kurze Internet-Recherche zeigt zudem, dass Plastische Chirurg*innen offen und detailreich auf ihren Websites über Brustvergrößerungen, Fettabsaugung oder ein „Brazilian Butt Lift“ informieren dürfen.
Nach der Verantwortung des Mannes fragte bei der eingangs geschilderten Episode übrigens niemand. Dabei haben Männer oft großes Interesse an weiblichen Fortpflanzungsorganen. Einer von ihnen ist offensichtlich Gesundheitsminister Jens Spahn. Erst fürchtete er, Frauen könnten die Pille danach wie „Smarties“ fressen. Dann sorgte er sich, die Information über die Leistung eines Schwangerschaftsabbruchs auf Websites gynäkologischer Praxen könnte die Abtreibung zu einem Must-Have hypen. Wir Frauen kennen das: Erst sammeln wir Schuhe, dann Gebärmutterausschabungen. Aktuell sorgt sich Jens Spahn um die seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs.
Mit Sorge um die Frau und ihre Gesundheit hat all das natürlich nichts zu tun. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist auch ohne Herrn Spahn und seine Mitstreiter*innen in unserem Uterus schwer genug. Denn keine einzige Frau macht sich das leicht. 2017 gab es dafür allein deutschlandweit 101.209 individuelle Gründe, die wir zu respektieren haben.
Lust auf Abreibung? - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
anwalt.org/abtreibung | Die Seite schafft einen guten Überblick über Rechtslage bei Schwangerschaftsabbrüchen.
profamilia.de | Gemeinnütziger Verein für selbstbestimmte Sexualität und eigenverantwortliche Familienplanung. Berät, informiert und unterstützt.
frauenberatungsstellen-nrw.de | Gemeinnütziger Verein, der sein kostenloses Angebot an alle Frauen richtet und auf Wunsch anonym agiert.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Keine Frau macht es sich leicht
es gibt keine guten Gründe, sich gegen Leben und gegen die Zukunft zu entscheiden. Kinder in die Welt zu setzen bedeutet auch Hoffnung für eine bessere Welt.Ohne Kinder keine bessere Welt, so einfach ist das. Abtreibung ist und bleibt Mord(2017 gab es dafür allein deutschlandweit 101.209 ) die wir zu respektieren haben. Falsch, Abtreibung ist Mord, Mord kann man nicht respektieren sondern allenfalls zur Kenntnis nehmen
Freiheit oder Leben?
Intro - Abtreibung
Die stille Revolution
Wer nicht kämpft, hat schon verloren – Europa-Vorbild: Irland
„Frau Müller“ entbindet vertraulich
Zu spät für die Abtreibung: Ein möglicher, guter Ausweg
Die stille Revolution. Vorbild Irland
Balanceakt zwischen Mutter- und Kindeswohl
„Frauen fühlen sich zu Recht entmündigt“
Diplom-Psychologin Marina Knopf zur Debatte um den Paragrafen 219a
Fortschritt durch Irrtum
Die Menschheit lässt sich nicht aufhalten. Ihre Wege kann sie aber ändern – Teil 1: Leitartikel
Das Gute ist real …
… mächtige Interessengruppen jedoch auch. Und die bedienen sich der Politik – Teil 2: Leitartikel
Wir sind nicht überfordert
Die Gesellschaft will mehr Klima- und Umweltschutz – Teil 3: Leitartikel
Wo europäische Werte enden
Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 1: Leitartikel
Gefährliche Kanzel-Culture
Für mehr Streit und weniger Feindbilder – Teil 2: Leitartikel
Auf dem rechten Auge blind
Verfolgungseifer von Behörden, Politik und Presse gegen Linke – Teil 3: Leitartikel
Kein Recht auf Wohnen
Wie ein Grundbedürfnis unbezahlbar wird – Teil 1: Leitartikel
Finanzkrise nonstop
Wieder retten öffentliche Gelder Banken aus der selbstverschuldeten Krise – Teil 2: Leitartikel
Spätrömische Dekadenz
Falsche Versprechen zu Lohn und Leistung – Teil 3: Leitartikel
Kultur ist für alle da
Von gesellschaftlicher Vielfalt auf und vor den Bühnen – Teil 1: Leitartikel
Gentrifizierung auf Griechisch
Investoreninteressen und staatliche Repression im Athener Stadtteil Exarchia – Teil 2: Leitartikel
Hinter vorgehaltener Hand
Freiheit in der smarten Stadt – Teil 3: Leitartikel
Vorwärts nimmer, rückwärts immer
Verkehrswende in die Vergangenheit mit der FDP – Teil 1: Leitartikel
Mercedes oder per pedes?
Lob des Zufußgehens – Teil 2: Leitartikel
Bike Bike Baby
Freie Fahrt fürs Fahrrad – Teil 3: Leitartikel
„Totalverzweckung“ des Menschen
Bildung verkommt zur ökonomischen Zurichtung – Teil 1: Leitartikel
Wunsch nach Anerkennung
Über Erziehung und Kinderglück am Beispiel musikalischer Stars – Teil 2: Leitartikel
Steiles Gefälle
Überlegungen zum Altersglück – Teil 3: Leitartikel
Drei Millionen Liter
Gedanken zur Periodenarmut – Teil 1: Leitartikel
Die normalste Blutung der Welt
Vom Ende des Tabus der Menstruation – Teil 2: Leitartikel