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Wirsingperformance in der Kreissparkasse Schöppingen
Foto: Heinz Kock

Kein schlechtes Versteck

26. Juni 2014

Der Bochumer Aktionskünstler Matthias Schamp nistet sich zwischen Buchdeckeln ein – Portrait 07/14

Er war schon der weiße Querbalken in einem Stoppschild, ein Dampfschiff-Schornstein, eine Markise und eine Comic-Figur: Der Bochumer Autor und Künstler Matthias Schamp bricht in seinen Performances und Aktionen Erwartungshaltungen, verwischt augenzwinkernd Grenzen zwischen Kunsttheorie und -Parodie. Sein „Mythos-Grill“ bringt Frittierdünste und Pommesskulpturen in Museen und Galerien, er organisiert Demos gegen die Vertikale oder mit dem Slogan „Wir sind das Bild“. Seine Fotoreihe „Schlechte Verstecke“ wurde einige Zeit in der Satirezeitschrift Titanic abgedruckt. Nun ist ihm ein besonderer Coup gelungen: Als Romanfigur steht er vor keiner geringeren Aufgabe, als die Welt zu retten…

Der Schamp rettet die Welt!
Nun wäre es ein leichtes, sich selbst in einen Roman hineinzuschreiben, zumal, wenn man wie Matthias Schamp nicht nur als Bildender Künstler, sondern auch als Autor tätig ist. Doch in diesem Fall hat sich ein Bestsellerautor der Aufgabe angenommen: Markus Orths, dessen satirischer Schulroman „Lehrerzimmer“ zur Pflichtlektüre in eben diesen zählen dürfte und der für einen Auszug aus „Das Zimmermädchen“ beim Bachmann-Wettbewerb 2008 mit dem Telekom-Austria-Preis ausgezeichnet wurde, beschwört in seinem neuesten Buch die Apokalypse herauf und stellt dem Weltuntergang eine Handvoll kuriose Helden entgegen. Ein schwuler Buddha und eine sexbesessene Teilchenbeschleunigerin zählen ebenso dazu wie ein mutiger Performancekünstler, niemand geringerer als „der Schamp“…

Markus Orths und Matthias Schamp kennen sich bereits seit einigen Jahren. „Wir haben uns bei einer gemeinsamen Lesetournee kennengelernt und gleich bestens angefreundet“, erinnert sich Schamp, „Sechs Lesungen am Niederrhein, organisiert vom Literaturbüro Düsseldorf. Ich glaub 2000 war‘s.“ Orths präzisiert: „Ich hatte damals meinen ersten Vertrag unterschrieben für ‚Wer geht wo hinterm Sarg?‘ und Matthias sein Buch ‚Hirntreiben. EEG. Ein Westernroman‘ veröffentlicht. Gemeinsam mit Hans Marten van den Brink haben wir dann Lesungen in NRW abgehalten. Dabei haben wir uns sehr gut kennen gelernt. Mit jedem Abend und jedem Bier besser…“ Seitdem kreuzen sich ihre Wege regelmäßig; wenn Orths auf einer Lesereise im Ruhrgebiet Station macht, lässt man nach Möglichkeit den Abend gemeinsam ausklingen.

Wer passt in einen Roman?
Doch wie kommt man auf die Idee, einen Freund zur Romanfigur zu machen? „In dem Roman treffen sich eine Menge ungewöhnlicher Menschen“, erläutert Orths, „Ich dachte, wenn ich darüber hinaus einen finde, den es in Wirklichkeit gibt und der ins Romanszenario passt, dann wäre das wunderbar irritierend. Man würde sich fragen: Wenn dieser Menschen existiert, dann vielleicht auch die anderen?“ Mit Sicherheit ist es zudem von Vorteil, dass dieser Künstler Grenzen aufweicht und sich mit Projekten befasst, die vielen Menschen noch weniger greifbar erscheinen dürften als die Beuys‘sche Fettecke. „Ich bin großer Fan von den Performances von Matthias Schamp“, erläutert Orths, „aber auch von seinen Texten und den Hörspielen. Wir sind seit langem befreundet. In manchen Dingen ticken wir sehr ähnlich. Irgendwie sind immer alle, denen ich von den Ideen des Schamp erzähle, total begeistert. Insofern dachte ich schon länger: Das will ich für einen Roman fruchtbar machen. Ich habe ihm sehr früh davon erzählt. Noch ehe ich anfing zu schreiben. Denn hätte er Nein gesagt, hätte ich das auch verstanden. Er war aber gleich Feuer und Flamme.“ Als Freund und Romanfigur hatte der Schamp durchaus auch Mitspracherecht: „Matthias hat den Roman dreimal gelesen (mindestens), in drei verschiedenen Fassungen. Eine ganz frühe, eine mittlere und die Schlussfassung. Er hat sehr viele gute Fragen an den Text gestellt, die mir beim Schreiben und Bearbeiten enorm geholfen haben, hat immer streng auf die Glaubwürdigkeit der Figuren geachtet, die tatsächlich angesichts der wahnsinnigen Handlungsstränge sehr wichtig ist, und er hat auch die eine oder andere tolle zusätzliche Idee gehabt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“

Abgetaucht im Orths-Kosmos
Doch wie fühlt es sich an, eine Romanfigur zu sein? Erfahrungen als Comicfigur hat Schamp schließlich bereits, denn gemeinsam mit dem hier als Zeichner fungierenden Künstler Gilbert Geister hat er eine Trilogie konzeptueller Kunstcomics mit den Hauptfiguren Schampman und Geisterman entwickelt. Eine gewisse Erfahrung als Superheld kann Schamp also durchaus vorweisen. Doch die Weltrettung in Romanform stellt eine ganz neue Herausforderungen dar: „Ja, das Dasein als Romanfigur ist schon eine gänzlich neue Erfahrung. So eine Art ‚Urlaub vom ich‘, ein Tauchgang in Gefilde, die ich mir vorher nicht mal hab‘ vorstellen können. Der Orths-Kosmos ist ja eine echte Wunderkammer. Das mir hier Zugang gewährt wurde (d. h. echter Zugang und nicht nur Einblick per Distanz, wie es ja dem Leser möglich ist), sehe ich als großes Privileg und echten Luxus an“, schwärmt Schamp und erläutert weiter: „Die dazu notwendige fiktionale Ausstülpung von ‚dem Schamp‘ ist in der Tat sehr anders als bei der Comicfigur Schampman - bei der ja die Steuerung in meinen Händen lag. Im Orths-Kosmos werde ich noch wirklich überrascht. Ich habe Erlebnisse, die ich mir - wie bereits gesagt - nicht mal hab‘ vorstellen können. Und so ganz nebenbei auch ein bisschen zur Rettung der Welt beitragen zu können, ist ja auch schön.“

Dichtung und Wahrheit
Der Roman erscheint am 8. Juli und dann können die Leser den Schamp nicht nur zwischen den Buchdeckeln kennenlernen, sondern auch ganz real – denn einen Teil der Lesungen werden die beiden gemeinsam als Lesungs-Performance bestreiten. Bei solch einer Präsenz einer Romanfigur, die sozusagen neben ihrem Autor die Bühne betritt, besteht da keine Angst, dass die anderen Figuren aus dem Focus des Publikums verschwinden? Der Autor macht sich diesbezüglich keine großen Sorgen: „Bei den Lesungs-Performances wird sicher die Figur Matthias Schamp auch textlich im Mittelpunkt stehen. Das ergibt sonst keinen Sinn. Daneben muss dann zwangsläufig Sabrina Steward eine Rolle spielen, die Physikerin, die das Schwarze Loch erschafft, gegen das der Schamp mit seinen Buhruftüten kämpft. Da der Roman aber viele verschiedene ‚Helden‘ hat, die eine große Rolle spielen, muss ich ohnehin bei jeder Lesung auswählen. Und auch bei Solo-Lesungen werden dann viele andere Figuren zwangsläufig durchs Raster fallen. Aber eine Lesung soll ja nur Appetit machen. Und die anderen Figuren kann dann jeder still für sich lesend entdecken.“ Auch Schamp verweist auf die Solo-Lesungen, in denen Orths die Gelegenheit haben wird, die anderen Figuren stärker in den Vordergrund zu stellen. Er unterstreicht: „Es hat mich überrascht und sehr erfreut, dass es auch so viele gemeinsame Auftritte gibt - vor allem ja auch, weil ich auf die Weise in diesem Jahr Markus oft sehe. Denn das ist immer fein.“ Eine gewisse „Angst“ vor einer ganz bestimmten Situation gesteht Schamp letztlich dann doch ein: „dass ich, das heißt der leibhaftige Schamp, irgendwann mal Markus gegenüber sitze und etwas erzähle und Markus denkt dann die ganze Zeit, dass irgendwas nicht stimmt, denn ‚der Schamp‘ müsste doch eigentlich in dieser Situation was ganz anderes sagen...“

Markus Orths: Alpha & Omega – Apokalypse für Anfänger | Schöffling & Co.
528 Seiten | 24,95 €

FRANK SCHORNECK

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