Cineastisch aufbereitete Biografien starker Persönlichkeiten sind schon seit Langem in Mode. Ob dokumentarisch inszeniert oder klassisch als Biopic – sie dokumentieren Kulturgeschichte und lassen uns diese eindrucksvoll nachempfinden. Es ist ein optimistisches Zeichen der Zeit, dass hierbei immer mehr weibliche Biografien im Fokus der filmischen Nachempfindungen stehen und der Kinomonat Dezember uns gleich drei Biografien von normalen und zugleich außergewöhnlichen Frauen beschert. Passend zur Weihnachtszeit, in der wir uns spätestens beim festlichen Fernsehprogramm in unsere alten Kinderfilmerinnerungen imaginieren, beginnt der Dezember mit dem Biopic „Astrid“ über die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, der wir unsere Helden der Kindheit wie „Pippi Langstrumpf“ oder „Michel aus Lönneberga“ zu verdanken haben. Doch weniger auf die berühmten Kindererzählungen legt der Film den Fokus, als viel mehr auf die außereheliche Mutterschaft und den damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikt im christlich geprägten Schweden der 1920er Jahre. Dieser hatte zur Folge, dass Lindgren ihren Sohn Lasse in Dänemark zur Welt brachte und ihn die ersten Jahre bei einer Pflegemutter aufwachsen ließ, um „Schande“ von der Familie in Stockholm abzuwenden.
Der Widerspruch und Konflikt zwischen Rollenerwartungen der Gesellschaft und dem selbstbestimmten Handeln der Protagonistinnen zeigt sich auch im Biopic um die Schriftstellerin Mary Shelley. Ganze hundert Jahre vor Lindgren erschaffte sie als Schriftstellerin im vorviktorianischen England mit „Frankenstein“ eines der meist bekannten Schauermärchen der fantastischen Literatur. Doch Shelley sah sich gezwungen ihren später zur Weltliteratur gewordenen Briefroman anonym zu veröffentlichen, da weibliche Autoren im England der 1820er Jahre verpönt waren.
Beide Inszenierungen arbeiten einen emanzipatorisch-feministischen Moment heraus, in dem sie den Kampf der Frauen zwischen Rollenerwartung und Selbstbestimmtheit zum dramaturgischen Nukleus verdichten. Das ist zeitgemäß und wichtig. Doch es zeigt gleichermaßen, wie konstruiert und inszeniert Filmbiografien sein können und wie sehr ihr vorrauseilendes Prädikat, dass der Film „auf wahren Begebenheiten beruht“ oftmals trügerisch ist. Wie sieht es aber mit dem Dokumentarfilm aus, wenn am 20. Dezember mit „Westwood“ die Dokumentation über das Leben der Modedesignerin, Punk-Ikone und Aktivistin Vivienne Westwood in die Kinos kommt? Als Enfant terrible der Fashion-Welt ist sie ohnehin nah an jeglicher linken Emanzipation und Aufwiegelung beteiligt und muss nicht erst als solche konstruiert werden. Nicht umsonst gehörten zu ihren Kunden die Punkrock Band New York Dolls oder Sid Vicious, während sie in ihrer Boutique „SEX“ bereits in den 1970er Jahren S&M-Artikel anbot und Gedanken der Gleichstellung in ihren Entwürfen formulierte. Doch so wie in diesem Text werden solche und andere ihrer biografischen Eckdaten in ihrem Biopic subjektiv und inszeniert verwoben sein. Denn nicht nur der Bildausschnitt im Dokumentarfilm ist bereits eine subjektive Setzung: Die Entscheidung darüber was, wann, wie und wie lange etwas im Film gezeigt wird, ist gleichermaßen Teil der Inszenierung. So kann Film, egal wie sehr er uns dies suggerieren will, nie gänzlich objektiv, authentisch und realistisch sein – aber das muss für das Kinoerlebnis kein Nachteil sein.
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