Nicht selten muss sich der Film in Cannes die Aufmerksamkeit mit anderen Vorfällen teilen. Im Vergleich zu den 60ern rufen die Vorfälle der letzten Jahre jedoch kaum mehr als Kopfschütteln und Augenrollen hervor. Im vergangenen Jahr schlüpfte ein Mann verstohlen unter das Kleid der US-Schauspielerin America Ferrera – ein Riesenschocker. Dagegen lieferte Lars von Trier 2011 noch einen richtiggehenden Skandal, als er kundgab, Hitler verstehen zu können, Juden, aber nicht unbedingt Israel zu mögen und dazu ein Nazi zu sein. Bei den Filmfestspielen im letzten Monat waren dann allen Ernstes High Heels großes Thema. Einigen Frauen war offensichtlich der Eintritt zu Gala-Veranstaltungen verwehrt worden, weil sie nicht in hohen Absätzen über den Roten Teppich staksten und damit anscheinend ein ungeschriebenes Gesetz gebrochen hatten. Sehr beeindruckend, wie Cannes dem Zeitgeist „Mehr Form, weniger Inhalt!“ folgt.
Als ganz popelige Kinogänger vergessen wir zu gerne, dass viele Festivals inklusive Schaulaufen und Kussi Bussis unter den oberen Zehntausend zum Selbstzweck verkommen sind. Wir vergessen zu gerne, dass hinter der Leinwand das große Filmbusiness steht, dass es um die dicken Zahlen geht. So auch bei dem Zwist zwischen Voltage Pictures mit ihrer Produktion „Colossal“ und dem japanischen Filmstudiogiganten Toho. Das Studio Toho, Urheber des Godzilla-Franchises, sieht durch die geplante Indie-Produktion mit Anne Hathaway Urheberrecht verletzt, scheint sie doch zu sehr mit der Trademark Godzilla zu spielen. Wie weit das Urheberrecht gehen muss und gehen darf, ist in der Tat eine strittige Angelegenheit, die auch in anderen Bereichen noch ungeklärt ist. Dennoch hinterlassen solche Rechtsstreitigkeiten bei uns Zuschauern ein schales Gefühl, wenn wir doch auf der Leinwand hauptsächlich kreative, frei entfaltbare und intensive Stories sehen möchten.
Nichtsdestotrotz ist Franchise seit längerem ein gut funktionierendes Konzept im Kino. „Matrix“, „Herr der Ringe“, „Fluch der Karibik“, „Transformers“ – sie alle gehören zu den erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. Kürzlich erst schlugen die Avengers des Marvel-Universums die „Batman“-Kassenschlager von Christopher Nolan. Nun klopfen bereits die nächsten Franchise-Produktionen an die Kinotür. Arnold Schwarzenegger kehrt in Begleitung von Emilia Clarke alias Daenerys Targaryen mit „Terminator: Genisys“ zurück und wartet mit einer überraschenden Wendung im Kampf zwischen Robotern und Menschen auf. Heißer erwartet wird in diesem Sommer wohl nur „Jurassic World“. Mit „Jurassic Park“ entfachte Steven Spielberg in den 90ern eine wahre Manie, sodass Figuren und Zeichnungen des T.Rex beinahe jedes Kinder- und Jugendzimmer füllten. Diese Erinnerung an die Kindheit oder Jugend wird noch zum Ende des Jahres getoppt, wenn J.J. Abrams mit dem siebten Teil der „Star Wars“-Saga ein Wiedersehen mit Harrison Ford auf die Leinwand bringt.
Dürfen wir also einfach für einen Moment die ganze Geschichte um Urheberrechte und Filmindustrie in die hinterste Ecke des Hirns verbannen? Angesichts der Riesenkracher, die uns in diesem Monat, in diesem Jahr noch erwarten, ist dies wirklich legitim. Immerhin müssen wir in den hiesigen Kinos schon mal keine High Heels tragen. Einfach zurücklehnen und genießen. Dafür werden Filme gemacht.
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