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Heinrich Peuckmann
Foto: privat

„Fördertürme brauchen wir nicht mehr“

22. Juli 2020

Heinrich Peuckmann über Literatur und Kitsch im Ruhrgebiet – Über Tage 07/20

trailer: Herr Peuckmann, was hält Sie als Schriftsteller überhaupt im Ruhrgebiet?

Heinrich Peuckmann: Das hatte zunächst soziale Gründe. Ich bin Sohn eines Bergmanns und wollte studieren. Da gab es für mich eben keine Universität in Tübingen oder in anderen schönen Orten, sondern nur Bochum. Für meine Familie war es schon eine tolle Leistung, dass der Sohn überhaupt studieren konnte. So ergab es sich, dass ich im Ruhrgebiet geblieben bin.

Gelernt haben Sie das Schreiben im „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“. Ist dieser Blick auf das prekarisierte Alltagsleben etwas verloren gegangen?

Ja, es ist ein Stück weit verloren gegangen. Aber als ich mit dem damaligen PEN-Präsidenten Josef Haslinger sprach, fragte er mich, ob ich nicht früher Mitglied im „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ gewesen sei. Zuerst dachte ich, jetzt gibt es wieder Kritik. Denn wir wurden damals oft dafür geschmäht, dass die Texte nicht besonders gut seien. Aber Haslinger fragte: „Gibt es den Kreis noch? Es wäre schade, falls nicht. Heute ist er doch fast noch wichtiger, denn es hat sich in der Arbeitswelt ja nichts gebessert.“ Das Thema kommt jetzt wieder, es betrifft unser Leben ja sehr stark.

Haben Autoren aus Frankreich wie z. B. Didier Eribon, Édouard Louis oder Annie Ernaux diese Motive wieder als Trend zurückgebracht?

Ein bisschen. Ich habe diese Autoren gelesen und mit einigen Schriftstellern aus dem Ruhrgebiet habe ich sehr intensiven Kontakt zu französischen Kolleginnen und Kollegen. Seit zehn Jahren betreiben wir einen regen Austausch. Ausgegangen war das von Dortmund. Mal treffen wir sie hier, mal fahren wir nach Frankreich. Da haben wir uns immer über das Thema Arbeit in der Literatur unterhalten. Louis Malle hat schließlich einen ganzen Film über die Renault-Werke gedreht: Von den ersten Blechen bis hin zum Verkauf – ohne jeglichen Kommentar.

Sie haben einen regen Austausch mit jungen, manchmal auch verfolgten Schriftsteller aus dem Ausland. Wollen die nicht lieber nach Berlin statt ins Ruhrgebiet?

Wenn die erst mal hier sind, ändert sich deren Bild vollständig. Oft kommen dann die Fragen nach den Slum-Vierteln, der kaputten Industrie oder brachen Anlagen. Dann muss ich darauf hinweisen, dass es diese hier nicht gibt. Wie viel sich hier verändert hat, haben sie staunend zur Kenntnis genommen. Es ist also ein interessanter Prozess, sobald sie das Ruhrgebiet kennengelernt haben. Da geht es um Innen- und Außensicht und von der Außensicht lerne auch ich.

Ohne Migration würde es das Ruhrgebiet – historisch betrachtet – auch gar nicht geben.

Wir sind immer ein Schmelztiegel gewesen. Diesen brutalen Ausländerhass wie bei Pegida gibt es hier deshalb zum Glück nicht – bis auf diese gewalttätige Neonazi-Szene in Dortmund. Meine ehemaligen Schüler, von denen mittlerweile einige bei der Polizei arbeiten, sagen mir, dass die Dortmunder Neonazi-Szene nicht größer ist als etwa die in Düsseldorf. Sie ist nur virulenter. Leider.

Eine ihrer ehemaligen Schülerinnen hat dagegen durch rechte Demagogie eine steile Karriere hingelegt: die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry.

In einer Pressekonferenz sprach sie mal von „No-Go-Areas“ in Kamen und Bergkamen. Das war eine Sauerei. Solche Viertel gibt es hier nicht. Auf Facebook habe ich dann geantwortet, dass sie von Lügenpresse spricht, aber selbst Lügen verbreitet, sobald es um das eigene Weltbild geht. Sie ist eine intelligente, aber keine kluge Frau. Denn zur Klugheit gehört Moral.

Sprechen wir wieder über das Ruhrgebiet. Wie lässt sich die Bergbaugeschichte vermitteln, ohne dass es zu Klischees und Stereotypen kommt?

Das darf nicht sein. Mich ärgert etwa, dass hier in jeder Stadt immer noch ein Förderturm steht. Das ist ein Klischee und die brauchen wir nicht mehr. In Kamen ist der Förderturm ein Schrotthaufen, der nur Geld kostet und wirklich wegkann. In Bergkamen dagegen haben ehemalige Bergleute im Keller eines Museums einen Stollen eingerichtet. Da können jetzt die Kinder durchgehen und sehen, wir ihre Großväter gearbeitet haben. Das ist anschauliche Erinnerungskultur, das Andere ist Kitsch. Nostalgie ist nicht hilfreich.

Verdeckt diese Nostalgie nicht auch eine düstere Realität im Ruhrgebiet, wo mehr als jeder fünfte von Armut betroffen ist?

Genau. Die anderen Themen sind ja da: Armut, die Schere zwischen arm und reich, die immer größer wird. Mit diesen sozialen Verwerfungen setzte ich mich in meinen Romanen auseinander. Denn ich spüre immer noch eine Solidarität mit denjenigen, aus deren Schicht ich komme.

Interview: Benjamin Trilling

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