Dem Komponisten hätte diese Version seines bis heute größten Opernerfolgs sicher nicht gefallen. Denn Regisseur Michael Schulz bereitet nicht ihm, Georg Friedrich Händel, als Person die große Bühne, sondern seinem Librettisten Nicola Francesco Haym. Und dieser hat wenig Schmeichelhaftes über Händel, den „Schmuddel-Schorsch“, zu berichten: Ein Schürzenjäger sei der und habe ihm die Frau ausgespannt.
Ob das historisch so stimmt, ist zweifelhaft. Der Kunstgriff der Regie allerdings ist sehr unterhaltsam und bewahrt das Publikum vor so manchem langatmigen Rezitativ. Schauspieler Klaus Brantzen führt als Erzähler sehr charismatisch durch die um eine gute Stunde gekürzte Heldenoper „Giulio Cesare in Eggito“, mit der das Gelsenkirchener Musiktheater nach dem Lockdown wieder die Türe für das Publikum öffnete.
Wie der zugefügte Prolog schon erahnen lässt, sind Schulz und sein Produktionsteam nicht gerade in Ehrfurcht vor den antiken Feldherren erstarrt, sondern befanden: Eigentlich unterscheiden sich die Figuren nicht sonderlich von jenen, wie sie in Asterix gezeichnet werden. Und so erlebt das Publikum etwa Kleopatra und Ptolemaios (Tolomeo) zusammen mit ihren Spielzeugpyramiden im Sandkasten (Bühne: Dirk Becker) - und bekommt so ganz anschaulich vermittelt: In puncto Machtgier und Rachsucht können sich die beiden durchaus das Wasser reichen.
Kleopatra und Ptolemaios im Sandkasten
Dongmin Lee singt die Pharaonin mit ebenso viel Witz und Charme wie der junge Countertenor Etienne Walch ihren Bruder. Esist eine ganze Reihe junger Ensemblemitglieder, die in dieser Produktion glänzt: Allen voran die Mezzosopranistin Rina Hirayama in der Titelrolle, welche ursprünglich (wie auch der Tolomeo) für einen Kastraten mit virtuosen Koloraturen angelegt war. Hirayama hat die nötige Beweglichkeit und Präzision, entwickelt nach den ersten Szenen auch das nötige Stimmvolumen für einen Feldherrn. Indes weiß die Regie den Widerspruch zwischen der zierlichen Darstellerin und dem dargestellten Schlachtenlenker humoristisch schön auszuschlachten: Wenn Cäsar sein großes schweres Schwert in Heldenpose gen Himmel reckt, braucht er den stützenden Arm seines Tribuns Curio (Timothy Edlin).
Auch Bele Kumberger (alternierend mit Lina Hoffmann) ist als Sesto, der seinen von Tolomeo geköpften Vater rächen will, in einer sehr gelungenen Hosenrolle zu erleben, die tatsächlich schon Händel für eine Sopranistin vorgesehen hatte. Der abgeschlagene Kopf spielt immer wieder eine Rolle im Verlauf des Abends. Noriko Ogawa-Yatake (alternierend mit Almuth Herbst) trägt ihn als Witwe Cornelia in einer Reisetasche mit sich herum. Gelegentlich wird er auch ausgepackt. Die Balance zwischen der Darstellung von Grausamkeit, Wut und Rachsucht auf der einen und einer Note schwarzen Humors auf der anderen Seite gelingt durchaus gut. Die humorige Herangehensweise zerstört durchaus nicht den Charakter der Oper. Für die nötige Leichtigkeit aber auch Dramatik im Orchestergraben sorgt Giuliano Betta.
Giulio Cesare | Fr 2.7. 19.30 Uhr | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 0209 40 97 200
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