All the Beauty and the Bloodshed
USA 2022, Laufzeit: 117 Min., FSK 12
Regie: Laura Poitras
>> allthebeauty.plaionpictures.com/
Beeindruckender Dokumentarfilm über die engagierte Fotografin
Die Kunst und das (Über-)Leben
„All the Beauty and the Bloodshed“ von Laura Poitras
Nan Goldin zählt zu den bedeutendsten lebenden Fotograf:innen, aber auch Künstler:innen im Allgemeinen. Alleine über ihr Werk hätte man gut einen Kinolangfilm machen können. Die Regisseurin Laura Poitras begnügt sich nicht damit, dem fotografischen Werk der Künstlerin Nan Goldin, das von Außenseitern der Gesellschaft erzählt, vornehmlich Frauen, ein Denkmal zu setzen. Sie entfaltet mehrere Erzählstränge, die alle mit dem Leben und Werk der Künstlerin zusammenhängen. Nan Goldin führt das Publikum mit ihrer Erzählstimme durch alle drei Handlungsebenen.
Zunächst ist da die Familiengeschichte. Es ist eine scheinbar perfekte Nachkriegswelt, in die Nan Goldin als zweite Tochter in die geordneten Suburbs von Washington, D.C. 1953 hineingeboren wird. Doch ihre acht Jahre ältere Schwester Barbara nimmt sich 1964 das Leben, die kleine Schwester bleibt mit elf Jahren alleine mit ihren sprachlosen Eltern und dem Geheimnis um den Tod ihrer Schwester zurück, nicht ahnend, dass diese von ihren Eltern von einem Internat und von einer Psychiatrie in die nächste geschickt wurde, um ihr ihre Individualität und ihre Kreativität auszutreiben. Bereits mit 14 Jahren verlässt sie das Elternhaus und zieht mit Gleichgesinnten zusammen. Sie trifft auf Kreative und entdeckt ihre eigene Kreativität, die sie später als eine Art Auftrag von ihrer Schwester betrachtet. Die Fotografie führt sie zum Studium nach Boston, danach geht sie nach New York. Dort stößt sie Mitte der 1970er Jahre auf eine subkulturelle Explosion: Die New Wave beziehungsweise die radikalere New Yorker Version davon – die No Wave – versammelt die anderen Stimmen, die die Gesellschaft nicht hat austreiben können, von Musiker:innen, Künstler:innen und Filmemacher:innen des Underground. Nan Goldin widmet ihnen ihre Kunst, aber auch den Subkulturen von Schwulen, Lesben, Trans-Personen, Sexarbeiterinnen, Opfern körperlicher Misshandlungen oder an AIDS erkrankten Menschen. Fast alle Porträtierten stammen aus Nan Goldins persönlichem Umfeld, und so sind auch ihre Fotografien und ihre Diashows – zu den bekanntesten zählt „Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit“ (Originaltitel „The Ballad of Sexual Dependency“), entstanden zwischen 1978 und 1986 – immer eine Art Tagebuch ihres Lebens. Laura Poitras erzählt Nan Goldins Lebensgeschichte und zeigt, wie sich aus dem familiären Privaten ihre künstlerische Arbeit herausschält und im Folgenden von ihrer sozialen Familie nährt. Der Film zeigt auch, dass Nan Goldins Arbeiten trotz dieser privaten Bezüge immer politisch ist: Sie macht Minderheiten sichtbar und adressiert Themen der sozialen Ungerechtigkeit.
Nicht nur deswegen hat das Kunstmagazin „Monopol“ Nan Goldin im vergangenen Jahr zur weltweit einflussreichsten Künstlerin gewählt. Nan Goldins soziales Engagement führt direkt zu der dritten Ebene des Films, die auch wieder die Verbindung des Privaten mit dem Künstlerischen aufzeigt. Poitras begleitet Goldin in der jüngeren Gegenwart, in der sie sich gegen die Sackler Familie engagiert. Hier zeigt sich die Regisseurin am ehesten wie man sie bislang kannte – als investigative, politische Aktivistin. Denn Laura Poitras ist vor allem bekannt als die Filmemacherin, die als erstes neben Glenn Greenwald von Edward Snowden Zugriff auf seine geleakten Dokumente erhielt – sie hat 2014 auch die Oscar-prämierte Edward Snowden Dokumentation „Citizenfour“ gedreht. Schon seit ihrer Doku „Irak – Mein fremdes Land“ von 2006 gilt sie in den USA auf Grund ihrer investigativen Arbeit als terrorverdächtig. Die Sacklers galten Dank ihres Kultursponsorings für weltberühmte Museen und Bibliotheken hingegen lange als hoch angesehen. Mit ihrem Unternehmen Purdue Pharma sind sie wissentlich hauptverantwortlich für die Opioidkrise in den USA. Auch Nan Goldin bekam 2014 nach einer OP das aggressiv beworbene Purdue-Schmerzmittel Oxycontin verschrieben und wurde süchtig. Anders als viele andere Patient:innen überlebte sie und ging medienwirksam gegen die Sacklers vor. Sie organisierte Demos und Performances und hat so gemeinsam mit anderen Aktivist:innen erreicht, dass die größten Museen der Welt die Sacklers wieder ausladen. Auch das dokumentiert der spannende und vielschichtige Dokumentarfilm, mit dem Laura Poitras 2022 in Venedig den Hauptpreis gewonnen hat.
Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24
Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24
Ein letzter Blick von unten
„Vom Ende eines Zeitalters“ mit Filmgespräch im Casablanca Bochum
„Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander“
Carmen Eckhardt über „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ – Portrait 05/24
Grusel und Begeisterung
„Max und die wilde 7: Die Geister Oma“ mit Fragerunde in der Schauburg Dortmund
Wenn Kino Schule macht
Die Reihe Filmgeschichte(n) spürt Schulgeschichten auf – Festival 05/24
Der Kurzfilm im Rampenlicht
Die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 2024 – Vorspann 05/24
„Ich wollte die Geschichte dieser Mädchen unbedingt erzählen“
Karin de Miguel Wessendorf über „Kicken wie ein Mädchen“ – Portrait 04/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Kölner Filmpalast – Foyer 04/24
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Viel Spaß beim Film“
Vom Ende der Platzanweiser:innen – Vorspann 04/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Was läuft im Kino?
Über die Programmierkunst echter und gespielter Helden – Vorspann 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Bezeugen, was verboten ist
NRW-Kinopremiere: „Green Border“ von Agnieszka Holland mit Vorgespräch
„Man kann Stellas Wandel gut nachvollziehen“
Jannis Niewöhner über „Stella. Ein Leben.“ – Roter Teppich 02/24
Prognose: Lachstürme
Die Komödie findet endlich ins Kino zurück – Vorspann 02/24