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Maximilian Schell
Foto: Presse

Ein wahrer Künstler

13. Juli 2012

Maximilian Schell schwelgt in Erinnerungen - Porträt 07/12

Dieses Buch war eigentlich längst überfällig. Maximilian Schell, obwohl 1930 in Wien geboren, ist ein Schweizer, der nicht nur sein Heimatland seit etlichen Jahrzehnten mit Stolz erfüllt. Als er 1962 für den Kriegsgerichtsfilm „Das Urteil von Nürnberg“ den Oscar als bester Hauptdarsteller gewann, hieß es allerorten, er sei der erste „deutschsprachige Schauspieler“, dem dies nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen sei. Alle wollten an seinem Erfolg partizipieren – die Deutschen, die Österreicher und die Schweizer. Etwas Ähnliches wiederholte sich 2010 mit Christoph Waltz, als dieser mit „Inglourious Basterds“ Schells Erbe antrat. Aber Maximilian Schell auf seinen Oscar zu reduzieren, wäre angesichts dieses Ausnahmekünstler des 20. und 21. Jahrhunderts wahrlich zu kurz gedacht. Schell, der jüngere Bruder des Nachkriegskinostars Maria Schell, beeindruckte nicht nur in Filmen und auf den Theaterbühnen dieser Welt als Schauspieler, sondern machte sich auch einen Namen als Dramaturg, Autor, Regisseur, Produzent, Konzertpianist und Dirigent. Sogar als Maler hat er zweifellos Talent.

Schon 1997 versuchte er sich erstmals als Schriftsteller, in dem er mit der Erzählung „Der Rebell“ eine stark autobiografisch geprägte Geschichte mit enormem narrativem Talent zu Papier brachte. Erstaunlich, dass es nun noch einmal fünfzehn Jahre gedauert hat, bis Schell mit „Ich fliege über dunkle Täler“ etwas genauer in seine außergewöhnliche Karriere blicken lässt. Der mittlerweile 81jährige Mime hat es aber auch hier wieder geschickt vermieden, ins gleiche Horn zu stoßen wie so viele andere Prominente, die aus eitler Selbstbeweihräucherung oder Geldnöten heraus auf die Idee kommen, ihre Erinnerungen zu vermarkten. Das gut 300 Seiten starke Buch ist weder chronologisch aufgebaut, noch hält es viele biografische Fakten parat. Das Meiste zu Schells Werdegang und Vita erfährt man aus den knappen Sätzen des Klappentextes. Aber solche spröden Daten und Gegebenheiten kann man ja auch problemlos in Lexika nachschlagen – oder auf einschlägigen Seiten des World Wide Web. Stattdessen hangelt sich Maximilian Schell anhand von Sammlerstücken, die er in den sechs Jahrzehnten seiner Karriere zusammengetragen hat, durch die wichtigsten Stationen seines Lebens. Dadurch lässt er viel tiefer in seine Seele blicken, als das den meisten anderen Memoirenschreibern vor ihm gelungen ist. Zwischendurch werden Lieder oder Gedichte zitiert, handgefertigte Zeichnungen und Gemälde präsentiert und dadurch immer wieder unterstrichen, wie kultiviert und vielseitig dieser Mann ist.

Natürlich dürfen auch kleine Staranekdoten von Begegnungen mit den Großen der Branche nicht fehlen, die das Salz in der Suppe sind und sicherlich auch Schell selbst in seiner menschlichen und künstlerischen Entwicklung nachhaltig geprägt haben. So berichtet er von einem Ausflug mit Judy Garland, bei dem er der bekannten amerikanischen Sängerin erklären musste, wer Mozart war, oder schildert eine erste Begegnung mit der in die USA ausgewanderten Marlene Dietrich, die den jungen Kollegen Schell ungefragt mit einem selbst gekochten Eintopf überraschte. Freundschaftlich verbunden war der Schauspieler mit dem Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, den er in den 70er Jahren kennen gelernt hatte, um mit ihm gemeinsam die Verfilmung seines Romans „Der Richter und sein Henker“ zu realisieren, und mit der Starmanagerin Erna Baumbauer, die Schells Karriere von den Anfängen bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 unermüdlich betreut und vorangetrieben hatte. In einem eigenen Kapitel geht der Autor auf seine Bekanntschaft mit Michael Jackson ein, dessen von der internationalen Presse vorangetriebener Rufmord zu Beginn der 90er Jahre Schell dermaßen erzürnt hatte, dass er im Branchenblatt Variety eine Anzeige zu Jacksons Verteidigung schaltete. Das Dankschreiben des Jahrhundertsängers ist wie viele andere Autographen, Briefe und Skizzen als Nachdruck zur Illustration in Schells Buch enthalten. In einem abschließenden Kapitel stellt er dann Theorien zu einer nicht nachgewiesenen Begegnung zwischen Ludwig van Beethoven und Napoleon Bonaparte auf, die er in Form eines Drehbuchauszugs präsentiert. Wer weiß, vielleicht gelingt es ihm in den nächsten Jahren tatsächlich noch, aus diesem fantasievollen Hirngespinst einen seiner ungewöhnlichen Filme zu konstruieren. Herauskommen würde sicherlich ein Werk ganz im Stil Maximilian Schells – durchdacht, herausragend und auf faszinierende Weise unterhaltsam.

„Ich fliege über dunkle Täler – Erinnerungen“ von Maximilian Schell, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 2012, ISBN 978-3-455-50178-0

Frank Brenner

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