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Regisseur Christian Petzold (m.) mit den Darstellern Ronald Zehrfeld und Nina Hoss beim Dreh
Foto: Christian Schulz

„Dreharbeiten sind hoch intensiv – danach muss man sich erst mal trennen“

28. August 2014

Regisseur Christian Petzold über „Phoenix“, Verdrängung und das Nachkriegskino – Gespräch zum Film 09/14

Christian Petzold, Jahrgang 1960, hat Germanistik und Theaterwissenschaft studiert und anschließend Regie an der Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1995 hat er zahlreiche, vielfach ausgezeichnete Kinofilme realisiert, darunter „Die innere Sicherheit“, „Wolfsburg“, „Gespenster“, „Yella“, „Jerichow“ und „Barbara“.

trailer: Herr Petzold, man rechnet ihre Arbeit zur Berliner Schule. Die gilt als eher spröde Gegenwartsbeobachtung. Mit ihrem letzten Film „Barbara“ und nun mit „Phoenix“ tauchen sie mit melodramatischem Ton in die deutsche Geschichte ein. Wie kommt es zu diesem neuen Interesse an der deutschen Vergangenheit?
Christian Petzold:
Als die Berliner Schule mit Retrospektiven und Werkschauen gefeiert wurde, und ich mich selber schon halb im Museum stehen sah, habe ich meine alten Filme noch mal angesehen. Dabei fiel mir auf, dass in den Gegenwartsfilmen wie zum Beispiel „Die innere Sicherheit“ zwar die 70er Jahre verhandelt werden, aber in der Gegenwart. Mich hatte damals interessiert, wie die Gespenster der Vergangenheit die Gegenwart noch beunruhigen. Dann kam ich wie automatisch irgendwann darauf, einen Film in der Vergangenheit über die Gespenster unserer Gegenwart zu machen. Man kann die Gegenwart auch in der Vergangenheit erzählen.

Mit „Phoenix“ liefern Sie eine Zustandsbeschreibung der direkten Nachkriegszeit. Es gibt viele Filme über den 2. Weltkrieg und den Faschismus in Deutschland, aber nur wenige Filme, die sich mit der Zeit direkt nach dem Kriegsende beschäftigen: Die sogenannten Trümmerfilme von Wolfgang Staudte oder Helmut Käutner, Peter Lorres „Der Verlorene“ oder die späteren Filme von Fassbinder. Warum klafft da diese Lücke, was kann man da noch erzählen?
Sie zählen genau die Filme auf, die unsere Proben und die Vorbereitungen begleitet haben. „Der Verlorene“ ist ja fast nie zu sehen ... Die Weltliteratur ist voller Heimkehrer – angefangen mit Odysseus, der nach zehn Jahren vom Kriegstrauma heimkehrt und dort nicht erkannt wird. Es hat mich getroffen, dass das im Nachkriegsdeutschland ausgespart ist. Es wurde so getan, als ob man das nicht braucht, während in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien ein richtiges Genre wie der Neorealismus entstanden ist. Dort kommen auch die Bilder und Filme nach Hause und erkunden ihr Land neu. In Deutschland wurde nichts untersucht. In den 50er Jahren ging es nahtlos mit SS-Schauspielern wie Heinz Rühmann weiter. Der einzige der jüngeren Regisseure, der das aufgespürt hat, war Fassbinder, der mit „Die Ehe der Maria Braun“ 1979 den Film gedreht hat, der damals hätte gedreht werden müssen.

Im Gegensatz zu den vielen Filmen über Nazi-Deutschland sieht man in „Phoenix“ das Grauen nur in Nellys versteinertem Gesicht. Damit treffen sie genau das diskursive Vakuum der Stunde Null: Johnny betont mehrmals, dass man Nelly keine Fragen zum Lager stellen wird. Sie ist als Überlebende nicht sichtbar.
Ich hatte einen Text von Jean Améry gelesen, wie er als Auschwitz-Überlebender nach Deutschland zurückkommt und dort seine Muttersprache hört, aber gleichzeitig nicht gehört wird. Niemand fragt ihn, niemand hört ihm zu. Er bekommt von diesem Land, das ihn verstoßen hat, keine Identität. Für mich ist Kino der Ort, wo ein solches Gespenstisch-Werden verhandelt wird. Fast alle Filme handeln davon, dass Menschen aus ihren sozialen Erdungen herausfallen. „Phoenix“ handelt von einem der vielen Gespenster von 1945.

Die Jüdin Nelly sagt einmal einen Satz, den ich noch nie in einem Film zu dem Thema gehört habe: „Ich bin keine Jüdin!“ Wie kamen sie darauf?
Das hat sich beim Schreiben mit Harun Farocki ergeben. Für einen Moment zuckten wir auch zusammen, ob man das schreiben darf, aber es geht um die Definitions- und Selektionsmacht der Nazis. Damit sagt Nelly: Ich bin nicht das, als was die mich bezeichnen. Ihre Freundin Lene entgegnet: „Doch, wir sind es jetzt geworden und wir müssen jetzt nach Palästina gehen.“

Sie lassen sich oft von Filmen und Texten inspirieren: „Phoenix“ basiert auf Motiven von Hubert Montheilets Roman „Der Asche entstiegen“, bei „Yella“ diente der Film „Carnival of Souls“ als Hintergrund. Wie entstehen ihre Filme?
Ich schreibe mir oft kleine Szenarios auf, die keinen Plot, keine Geschichte ergeben.

Man kann das nicht filmen – man braucht eine Erzählung und eine Ordnung – zumindest den Versuch einer Ordnung. So etwas habe ich am Anfang gar nicht. Dann lese ich z.B. ein Buch, und dann denke ich, das ist die Geschichte, die wir als nächstes machen. Bei „Jerichow“ war das z.B. „Wenn der Postmann zweimal klingelt“. Aber letztendlich sind das ja seit der griechischen Antike die gleichen Grundgeschichten. Die binden dann einzelne Ideen und Sachen, die wir haben, und geben ihnen eine etwas trügerische Ordnung.

Ähnlich wie Fassbinder arbeiten Sie seit langem mit einem relativ konstanten Team, dem kürzlich verstorbenen Filmemacher Harun Farocki, dem Kameramann Hans Fromm, der Editorin Bettina Böhler oder der Schauspielerin Nina Hoss zusammen. Was bedeutet ihnen diese Konstanz in der Zusammenarbeit?
Der Unterschied zu Fassbinder ist der, dass die auch ihr Privatleben miteinander verbracht haben, und das führt dann natürlich irgendwann zur Katastrophe. Dreharbeiten sind hoch intensiv, und man öffnet sich auf eine Art, wie es sonst meist nicht einmal im Privatleben stattfindet. Danach muss man sich erst mal trennen. Aber wenn ich mit anderen Menschen eine Arbeits- und Produktionsgemeinschaft bilde, dann muss ich diese Produktionsgemeinschaft nicht für jeden Film neu erfinden. Es ist ja vor allem im deutschen Film so, dass sich mit jedem Film alles komplett neu zusammensetzt. Und dann kann man die ersten beiden Drehwochen eigentlich in die Tonne treten, weil man sich erst finden muss. Mit den Leuten, mit denen ich seit 15 Jahren Filme mache, setze ich mich zusammen, und wir versuchen aus dem, was wir bisher gemacht haben, etwas Neues zu gewinnen, einen Schritt weiter zu gehen, oder das Schiff auch nur um 3 Grad nach rechts zu Steuern, um zu schauen, was da los ist. Aber dazu braucht man ein Schiff und Leute an den Segeln, denen man vertrauen kann.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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