Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.558 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Foto: Paul Coltas

Broadway unverfälscht – aber nicht jugendfrei

08. November 2019

„The Book of Mormon“ als einziges deutsches Gastspiel in Köln – Musical in NRW 11/19

Das Deja-vu begann schon vor dem Musical Dome: Da sprach mich doch einer jener adrett gekleideten jungen Männer an, die in meiner Jugend auch an unserer Haustür klingelten, um mir die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage nahezubringen. Leider gab es damals das Musical „The Book of Mormon“ noch nicht und man musste sich durch das von Joseph Smith 1823 entdeckte „Dritte Testament“ quälen, das die Grundlage für die am schnellsten wachsende Religion der Welt wurde.

Als sich 2011 die Schöpfer der Kult-Animationsserie „South Park“ und der Co-Autor des nicht minder provozierenden Broadway-Hits „Avenue Q“ des Stoffes annahmen, war klar, dass wir keine erbauliche, musikalische Religionsstunde erwarten können. Trey Parker, Matt Stone und Robert Lopez (Buch, Musik, Liedtexte) schufen mit dem vielfach preisgekrönten „Book of Mormon“ ein Musical, das sich nicht nur über die Mormonen, sondern auch über die Amerikaner im Allgemeinen lustig macht – und fröhlich-frech die Klassiker des Genres plündert. Dabei gehen sie in ihrer Respektlosigkeit und pubertärem Humor noch einen Schritt weiter als Mel Brooks mit „The Producers“ und Monty Python in „Spamalot“, was Regisseur und Choreograf Casey Nicholaw mit seiner temporeichen Inszenierung aber immer wieder auffängt, ehe es die Grenzen zur Vulgarität überschreitet.

So begleiten wir die beiden jungen Missionare, den elitären Yuppie Kevin Price (überzeugend: Kevin Clay) und den übergewichtigen Volltrottel Arnold Cunnigham (Conner Peirson) auf ihrer Bekehrungsreise nach Uganda. Dort werden sie von den Dorfbewohnern mit dem an „Hakuna Matata“ aus „König der Löwen“ erinnernden Song „Hsa diga eebowai“ begrüßt, was so viel heißt wie „Fick dich, Gott“. Aber auch Rodgers und Hammerstein, die großen Vorbilder der „Mormon“-Macher, werden mit der Ballett-Nummer „Joseph Smith American Moses“ nicht gerade jugendfrei zitiert. Und das von der (nur männlichen) Missionars-Truppe fulminant getanzte „Turn It Off“ erweist den großen Stepp-Musicals der 40er Jahre seine Referenz.

Brian MacDevitt hat dabei das an alte Bibel-Illustrationen erinnernde Bühnenbild von Scott Pask stimmungsvoll ausgeleuchtet und die originelle Orchestrierung lässt die eingängige Partitur in sattem Live-Sound erklingen. Natürlich dürfen die beiden Sahnehäubchen des äußerst unterhaltsamen Abends nicht unerwähnt bleiben: Nicole-Lily Baisden ist als Eingeborenenmädchen Nabelungi, das noch auf einer alten Schreibmaschine „simst“ und vom Paradies Sal Thay Ka Siti (Salt Lake City) träumt, einfach entzückend. Und Conner Peirson hat durchaus das Talent, in die Fußstapfen so großer Broadway-Musical-Komödianten wie Robert Morse und Zero Mostel zu treten. Schade eigentlich nur, dass man das im englischen Original aufgeführte Musical ohne Untertitel präsentiert, was doch einen Teil der Zielgruppe außen vor lässt.

„The Book of Mormon“ | bis 17.11. | Musical Dome, Köln | 0211 734 40

Rolf-Ruediger Hamacher

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23

„Dass wir vor lauter Geldfetisch nicht mehr wissen, wo oben und unten ist“
Regisseur Kieran Joel über „Das Kapital: Das Musical“ am Theater Dortmund – Premiere 09/23

Alle Jahre wieder
„Rocky Horror Show“ am Capitol Theater – Musical in NRW 06/22

Abschied von einer Diva
„Sunset Boulevard“ in Krefeld – Musical in NRW 04/22

Zwei Flops und ein Volltreffer
„Der Mann von La Mancha“ am Theater Münster – Musical in NRW 03/22

Schillernde Vielfalt
Endlich wieder Musicals auf den NRW-Bühnen – Musical in NRW 01/22

Nur ein paar (Stepp-)Schritte vom Broadway entfernt
„Chicago“ an der Bonner Oper – Musical in NRW 10/21

Sting kann auch Musical
Deutsche Erstaufführung von „The Last Ship“ in Koblenz – Musical in NRW 09/21

Hippie-Flower-Power-Rock
„Hair“ auf Burg Wilhelmstein bei Aachen – Musical in NRW 07/21

Das Musical-Phänomen schlechthin
„The Fantasticks“ in Bad Godesberg – Musical in NRW 07/21

Schlager sind Trumpf
Fetzige Jukebox-Musical in Köln und Aachen – Musical in NRW 04/20

Nicht totzukriegender Musical-Klassiker
„My Fair Lady“ am Grenzlandtheater Aachen – Musical in NRW 02/20

Musical.

Hier erscheint die Aufforderung!