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Auch bei Tageslicht gemütlich: Austragungsort Flottmann-Hallen
Foto: Benjamin Knoll

Wacken und die NPD

19. April 2013

Sprechreiz lockte in die Herner Flottmann-Hallen – Literatur 04/13

Da startet man schon ein wenig später als offiziell angekündigt in den Abend und trotzdem macht einem die nicht untergehende Sonne einen Strich durch die abendliche Rechnung. Zu Beginn um 20.30 Uhr sind die reichlich gefensterten Flottmann-Hallen noch gut mit Licht geflutet, was Sebastian23-Vertreter, Ersatzmoderator und Slammer Jan Philipp Zymny stark bemängelt. Schließlich ist der Sprechreiz ein Poetry-Slam und damit eine von Natur aus bierseelige Veranstaltung, die nur so nach gedämmtem Licht und gemütlicher Atmosphäre schreit. Zeit für den Moderator die letzten Sonnenminuten mit einem gut 30-minütigen Programm aus Regelwerkerklärung und interaktivem Kabarett zu überbrücken. Das Publikum wusste danach, dass sich neun SlamerInnen um eine nicht wertvolle Flasche voller drittklassigem Alkohol streiten, für ihre Texte sechs Minuten Zeit haben, die Jury sie bewertet und Zymny sich selbst gerne auch als „kleinen dicken Jungen“ bezeichnet, der sich nur ungern auf der installierten, visuell ansprechenden Video-Leinwand betrachtet. Ein Warm-Up wie es Sebastian23 wohl auch nicht besser hinbekommen hätte.

Gutgelaunter Ersatzmoderator: Jan Philipp Zymny, Foto: Benjamin Knoll

Die ersten Wortsalven bekam das Publikum von David Grashoff in Form eines Abgesangs auf ungebetene Werbemails für Geschlechtsorganvergrößerung verpasst. Es wurde schnell deutlich, dass Grasshoff nicht vor hat, sich in naher Zukunft nackt im REWE zu präsentieren und Absenderin Juliana_X mit ihren Angeboten nur bedingt seine Konsuminteressen tangierte. Nach jener nur minder jugendfreien Eröffnung gewährte man dem Publikum mithilfe einer modernen Version von „Einer flog über das Kuckucksnest“ Einblick in das Tagebuch eines Zwangsjackenträgers.

Jasmin Sell, erste von zwei Frauen des Abends, verfrachte das Publikum in konkreter greifbare Sphären. Ihr sprachlich ausbaufähiges, emanzipatorisches Loblied auf Geschlecht und Alter erinnerte an eine gesprochene Version eines gewissen Hits aus den 1990ern, den Lucylectric einst auf einer geblümten Schaukel trällerte. Frauenquoten scheinen angesichts solch selbstbewusster Vorträge ferner denn je. Als Gegenstück zum Quotennazi präsentierte sich auch Jay Nachtwind, der sich mit seinem Text nicht nur die eigene Glatzen-Vergangenheit von der Seele schrieb, sondern der gesamten Gesellschaft zwischen Pseudotoleranz, Alltagsnationalismus und Dauerstigmatisierung den Spiegel vorhielt.

Metal-Fan mit Rap-Talent: Sieger Jan Coenen, Foto: Benjamin Knoll

Der starke Beitrag konnte punktetechnisch nur von Rapper "2 Seiten“ und Jan Coenen übertroffen werden, die das Publikum schlicht besser zu unterhalten wussten. Letzterer sicherte sich mit einem amüsanten Erlebnisbericht zum Wacken-Festival und einer nerdig gerappten Antwort auf machomäßigen Sprechgesang den Gesamtsieg. Für den Mönchengladbacher entschied sich das bunt gemischte Publikum per Applausbarometer. Gegen 23 Uhr verließen auch die letzten ZuschauerInnen den schick aufgemachten Saal und tauchten ein in die mittlerweile stockfinstere Herner Nacht. Bis zum nächsten Sprechreiz in einem Monat.

Benjamin Knoll

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