Die letzten Gäste sind gegangen, das Paar fällt erschöpft ins Bett. Da verkündet Marta mit den Worten: „Ich bin schwanger. Und ich will das Kind nicht bekommen“, jene Nachricht, die sie schon den ganzen Tag mit sich herumträgt. Sogleich ist Danis Müdigkeit verflogen. Was nun folgt, nennt die katalanische Schriftstellerin Marta Orriols „Eine sanfte Einführung ins Chaos“. Ein Titel, der den Kern ihres Romans nicht ganz trifft. Zwar wird das Gedankenkarrussel der beiden 30-Jährigen kräftig angeworfen, aber am Ende schaut das Paar illusionsloser auf sein Leben als zu Beginn. Orriols erzählt von jenem Schreckmoment einer Generation, der es nie wirklich schlecht ging. Man hat seinen Spaß gehabt, beim Feiern, mit kurzen Affären, manchem Match bei Tinder, bis die beiden bemerkten, dass zwischen ihnen mehr als das Übliche abging. Dani schlägt sich als Drehbuchautor für einen Seriensender durch, Marta arbeitet als Fotografin für Zeitungen in Barcelona. Alles ist teurer geworden, nur die Honorare bleiben gleich.
Trotzdem sind Dani und Marta noch immer durchgekommen, wenn auch nichts mehr übrigbleibt, das man auf die hohe Kante legen könnte. Und nun ein Kind! Orriols horcht in ihre Protagonisten hinein, lässt sie auf Kindheit und frühe Erwachsenenjahre zurückschauen. Das gelingt ihr besonders gut bei Dani, der noch einmal Job, Freunde und Familie befragt und dabei bemerkt, dass er gerne Vater werden möchte. Verantwortung lautet das Stichwort. Mit ihm eröffnet Orriols den Blick auf eine Generation, die vielleicht gar nicht so hedonistisch ist, wie immer behauptet wird.
Aus weiblicher Perspektive sieht die Sache anders aus. Für Marta steht viel auf dem Spiel, als Fotojournalistin ist sie 24 Stunden im Einsatz. Für das Kind müsste sie alles aufgeben. So kollidieren die Lebensentwürfe von Mann und Frau in jenem Moment, in dem es um das Erwachsenwerden geht. In der Übersetzung von Ursula Bachhausen bleibt jene Eleganz erhalten, mit der Orriols‘ Sprache wunderbar fließend durch die Gedankenwelt dieses Paars gleitet. Stets ist in den Bildern dieses dramaturgisch fein dosierten Romans eine Prise Erotik mit Humor und sinnlichem Realismus versetzt.
Marta Orriols: Sanfte Einführung ins Chaos | Aus dem Katalanischen von Ursula Bachhausen | dtv | 240 Seiten | 22 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Perspektiven der Generationen
Anna Melikova in der Zentralbibliothek Düsseldorf
Flauschige Comedy
Sandra Da Vina im Steinhof Duisburg
Ein Buch entsteht
Lilian Peter bei Proust in Essen
Warum streiten wir?
Svenja Flaßpöhler liest im Medienforum Essen
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Die großen Stiftungen scheinen es nicht zu kapieren“
Gerd Herholz über sein Buch „Gespenster GmbH. Interventionen aus dem Ruhrgebiet“ – Interview 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Die Unschärfe der Jugend
Diskussion über junge Literatur im Essener KWI – Literatur 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25