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Birgitta Behringer
Foto: Christian Nielinger

„Nicht nur Gerätemedizin finanzieren“

17. Januar 2020

Palliativärztin Birgitta Behringer über die Würde todkranker Menschen

Wie ein würdevoller Umgang trotzdem möglich ist, erklärt die Palliativärztin Birgitta Behringer im Interview.

trailer: Frau Behringer, kann man schöner sterben?

Birgitta Behringer: Also ich finde Sterben nicht schön. Auch krank sein ist nicht schön. Aber es geht um die Würde des Menschen und darum, die Bedürfnisse von schwerkranken Menschen bei der Behandlung zu berücksichtigen. In der Palliativmedizin unterscheidet man körperliche, psychische, spirituelle und soziale Bedürfnisse, sie hat somit einen ganzheitlichen Ansatz. Diese Betrachtungsweise des Menschen kann zu einem würdevollen Sterben führen.

Ist Schmerzfreiheit das Ziel der Palliativmedizin?

Schmerzfreiheit wäre natürlich wunderbar, aber man würde die Palliativmedizin damit reduzieren – diese kann keine Wunder bewirken. Ich bin zufrieden wenn auf einer Skala von eins bis zehn ein Level von drei erreicht wird. Aber das Ziel von Palliativmedizin ist Symptomkontrolle, nicht nur der körperlichen Symptome.

Können Sie als Medizinerin Patienten auch in anderen Bereichen unterstützen?

Als Medizinerin versuche ich im Gespräch zu erörtern, wie ich dem Patienten helfen kann. Daher konzentriere ich mich überhaupt nicht auf die reine Schmerzmedizin. Das Schöne an der Palliativmedizin und den Palliativnetzwerken ist, dass diese multiprofessionell sind. Wir haben also die Möglichkeit, andere Berufsgruppen mit hinzuzuziehen, zum Beispiel aus der Pflege, aus der sozialen Arbeit oder aus der Hospizarbeit.

Sie sind Mitbegründerin und Vorsitzende des Ambulanten Ethikkomitees Bochum. Worin besteht ihre Arbeit?

Sehr häufig entstehen in der Behandlung Fragen, vor allem dann, wenn Menschen etwa durch Demenz oder Hirntumore nicht mehr einwilligungsfähig sind. Wenn dann gesundheitliche Krisen auftreten, geht es darum, was die beste Behandlung ist. Und das kann man in einem ethischen Fallgespräch versuchen zu erarbeiten. Wenn Patienten nicht teilnehmen und sich selbst nicht äußern können, sind die Betreuer und nahen Angehörigen dabei, aber auch Bezugspflegekräfte, der Hausarzt und andere Menschen, die wichtig für den Patienten sind. Auf der Seite des Ethikkomitees gibt es einen Moderator, einen Protokollanten und bestenfalls noch jemand drittes, der den Moderator unterstützt. Wir treffen uns an einem runden Tisch und versuchen innerhalb von einer Stunde Empfehlungen für den kranken Menschen zu geben.

Wie findet man heraus, was ein sterbenskranker Mensch will?

Es gibt verschiedene Stufen der Willensbekundung. Am besten ist natürlich, der Patient kann selbst sagen was er will – aber das haben wir ja meistens nicht. Dann gibt es natürlichen Willensäußerungen, zum Beispiel indem er den Mund beim Füttern zukneift oder Tabletten nicht schluckt. Manche Patienten äußern auch Wünsche im Vorfeld oder es gibt eine Patientenverfügung. Wenn man das alles nicht hat, kann man noch versuchen, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ergründen. Andernfalls entscheidet man im Rahmen eines Best Interest.

Gibt es einen ethischen Grundsatz, nach dem sie handeln?

Bei medizinethischen Gesprächen sind das Kriterien mittlerer Reichweite. Diese kann man nicht verallgemeinern, sondern es geht um die beste Empfehlung für diesen einzelnen Menschen. Wir orientieren uns an den medizinethischen Kriterien nach Beauchamp and Childress. Es geht dort um die Autonomie des Patienten, um das Prinzip der Schadensvermeidung, um das Patientenwohl und die Gerechtigkeit, die man diesen Menschen schuldig ist. Häufig gibt es außerdem Personen im Umfeld, die man mitbetrachten muss oder auch konkurrierende Interessen.

Wie unterscheidet sich die Palliativarbeit bei alten und jüngeren, sterbenskranken Menschen?

Ja die unterscheidet sich, vor allem emotional. Es nimmt einen natürlich mehr mit, wenn jemand so alt ist wie man selber oder sogar jünger. Das betrifft auch das ganze Team, da leiden viele mit. Die Grenzen zur Professionalität verschwimmen da manchmal. Ältere Menschen haben oft ihr Leben gelebt, sind müde und haben sich mit dem Themen Tod und Sterben schon beschäftigt. Jüngere Patienten akzeptieren das Sterben oft nicht so. Sie haben ganz andere Verantwortung, Kinder, Familie. Dann muss man eigentlich die ganze Familie im Blick haben und die Sozialstrukturen mit betrachten.

Wie haben Sie sich persönlich durch die palliative Arbeit verändert?

Das hat mich schon sehr verändert. Man macht sich Gedanken was der Mensch ist und was wichtig ist. Ich verstehe mich immer mehr als Fürsprecherin meiner Patienten und die Medizin als Dienst am Menschen. Wir müssen gemeinsam herausfinden was wichtig und was zu tun ist.

Das Arbeiten in einem Palliativ-Netzwerk ist auch sehr spannend weil man vielen Leuten und Sichtweisen auf den Menschen begegnet und sich dadurch weiterentwickeln kann. Ich bin ja nicht nur Palliativmedizinerin, sondern auch Hausärztin und ich finde, dass es da keine Grenze gibt wie ich einen Menschen zu betrachten habe. Es ist eher eine Haltung, die man zu Menschen entwickelt – wie ich mit jemandem spreche, was ich mit ihm bespreche und wie ich ihn respektiere. Das ist eine ständige Weiterentwicklung.

Wie stehen sie zur aktiven Sterbehilfe?

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland nicht erlaubt. Ich komme aber in Kontakt damit und hoffe dann zunächst, den Menschen von dem Wunsch abbringen zu können, indem ich die Möglichkeiten der Palliativmedizin aufzeige. Als Patient kann man den natürlichen Sterbeprozess auch zulassen, indem man Therapien ablehnt. Ich sage Menschen dann, dass sie durch die Palliativmedizin begleitet werden können.

Was können Politik und Gesellschaft für die palliative Arbeit tun? Wo fehlt es an Unterstützung?

Ganz wichtig ist Zeit für Gespräche. Die gemeinsame Therapiezielbestimmung und Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient wird im Gesundheitswesen nicht genügend honoriert. Solche Gespräche sind sehr wichtig bei der Begleitung aller Patienten. Palliativmedizin beginnt ja nicht erst dort, wo der Patient in ein Palliativnetz eingeschrieben wird, sondern viel früher. Auch im Studium müsste die Gesprächsführung noch mehr berücksichtigt werden. Im Rahmen der praktischen Weiterbildung sollten Ärzte auch die Möglichkeit haben, sich diesbezüglich zu verbessern. Ich würde mir wünschen, dass nicht nur Gerätemedizin besonders gut finanziert wird, sondern dass Ärzte ihren Schwerpunkt auch darauf setzen können: nicht alles medizinisch Machbare ist das Richtige für den Patienten. Es gibt das Projekt „Behandlung im Voraus Planen“ im Rahmen des Hospiz- und Palliativgesetztes. Das ist deutschlandweit im Paragraphen 132g SGB V verankert. In dem Projekt versuchen professionelle Gesprächsbegleiter mit Menschen zu ergründen und zu dokumentieren, wie sehr sie am Leben hängen und ob es für sie Grenzen bei der medizinischen Behandlung gibt. Da geht es nicht nur um Gespräche, sondern auch um die Weitergabe dieser Wünsche im Gesundheitssystem und die ständige Aktualisierung. Das Projekt ist zurzeit nur finanziert für Bewohner in der stationären Pflege und in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit geistigen Behinderungen. Solche Projekte halte ich für eine gute Sache, da sie Ärzten helfen bei der Therapiezielbestimmung. Diese Gespräche müssten für alle Menschen einer Region möglich sein – hier wäre eine Unterstützung durch die Politik wünschenswert.

Hinweis: Wenn Sie depressiv sind oder Selbstmord-Gedanken haben, wenden Sie sich bitte umgehend an die Telefonseelsorge: im Internet unter www.telefonseelsorge.de oder unter der kostenlosen Hotline 0800-111 01 11 oder 0800-111 02 22. Hier helfen Ihnen Berater, die Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können.


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caritas.de/magazin/schwerpunkt/sterben-und-tod/sterbebegleitung | Informationsseite der caritas über Sterbekultur und Hospizbewegung.
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Interview: Mareike Thuilot

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