Der Dezember ist der Monat der großen Rituale: Die Familie versammelt sich um die Gebeine eines leblosen Vogels, gedenkt beim exzessiven Festschmaus pflichtschuldig der Geburt eines armen Wanderpredigers und erinnert sich an früher, als es noch idyllische weiße Weihnacht gab. Auch das Kino hat um diese Zeit seine Rituale – die auf ihre Art nicht weniger religiös sind.
Ob Harry Potter, Frodo samt Anhang oder – wie in diesem Jahr – Luke Skywalker: Zum kuscheligen Jahresende melden sich die Blockbuster-Apostel im routinierten Wechsel auf der Leinwand zurück. Und uns würde doch etwas fehlen, täten sie es nicht. Ich erinnere mich an letztes Jahr, ich saß mit einem Freund im eher mittelmäßigen Abschluss der Hobbit-Trilogie; doch als die Zwergenarmee Abschied nahm und auf ihren Wildschweinen gen Horizont ritt wurde er wehmütig und fragte: „Worauf soll ich mich bloß nächstes Jahr freuen?“ Es war eine der kältesten Nächte in diesem Winter.
Seine Frage ist nun für dieses und die nächsten zwei Jahre geklärt, dank eines Filmpräsents aus einer weit, weit entfernten Galaxis.
Irgendwie passen die modernen Märchen auch zur Adventszeit: Jungfräuliche Empfängnis, die Geschichte eines Auserwählten, der die Welt vom Bösen erlöst und crazy Zaubertricks – das kennen wir so oder ähnlich aus der Bibel. Insofern ist der Kinogang zur Weihnachtszeit auf seine Art auch ein quasi-religiöser Akt: Die Welt ist geordnet, die Bösen tragen Schwarz, die Guten grüne Lichtschwerter und vom Kinosessel aus vergewissert man sich der großen kosmischen Ordnung – warum auch nicht?
Wer es lieber blasphemischer mag, dem sei „Das brandneue Testament“ ans häretische Herz gelegt: Mit viel schwarzem Humor und einem dezent überarbeitet wirkenden Gott – der sein Büro in Belgien hat – geht der Film der Frage nach: Was wäre, wenn wir alle unser genaues Todesdatum wüssten?
Etwas weniger frech kommt die Weihnachtskomödie „Alle Jahre wieder – Weihnachten mit den Coopers“ daher: Gleich vier Familiengenerationen treffen aufeinander – und Mutti will natürlich das perfekte Weihnachtsfest. Da ist Chaos vorprogrammiert – auch wenn wir natürlich auf ein weihnachtlich-versöhnliches Ende hoffen.
Eben das blieb Lara, Alex, Fedja und Timo versagt: Nachdem es in ihren Familien ordentlich kracht, kommen die vier Jugendlichen in die Psychiatrie. Und statt des Weihnachtsmanns erwartet sie Psychiater Dr. Wolf, der ihnen bei helfen soll. Diese Geschichte erzählt Theresa von Eltz‘ vielversprechender Film „4 Könige“.
Natürlich ist Weihnachten in erster Linie ein Fest für die Kinder, und das gilt auch für‘s Lichtspielhaus: „Die Peanuts“, „Heidi“, „Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft“ oder „Der kleine Prinz“ – für die Kleinen wird zum Jahresabschluss allerlei geboten. Dabei ist die Buchvorlage vom Prinzen, der sich um seinen kleinen Planeten sorgt, auch ein Märchen für Erwachsene. Ob „SpongeBob“- und „Kung Fu Panda“-Regisseur Mark Osborne diesem Anspruch gerecht wird? Wir sind gespannt!
Kurzum: Auch für Festtagsverächter ist die Adventszeit Grund zur Freude – schließlich kann man ja Atheist sein, aber gleichzeitig fanatischer Kino-Jünger. Für mich geht’s jedenfalls nach der Vogel-Vertilgung nicht in die Kirche, sondern in die Spätvorstellung.
„Frohe Weihnachten, mein Sohn“, sagt Mutti. „Möge die Macht mit dir sein“, antworte ich.
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