Wenn der hohle Mob aus dem Ödland im Osten vor einem Bus Geflüchteter in fröhliche Pogromstimmung verfällt, die Freunde und Helfer der Rassisten ihr Versagen damit entschuldigen, dass Flüchtlinge im Bus „provozierende Gesten“ gemacht hätten und sich die vom mittelmäßigen Wohlstand schon satte Dummheit vor brennenden Asylbewerberheimen zusammenrottet, um hämisch über das Leid Schwächerer zu lachen – dann ist das in allererster Linie ein nie verzeihbares Verbrechen an den Menschen, die Schutz suchen. Aber auch an dem jüngsten Stück deutscher Kulturgeschichte, das schon längst in der Filmwelt angekommen ist.
Denn die sogenannte Flüchtlingskrise importiert in erster Linie weder Terroristen noch sozialen Sprengstoff – sondern filmreife Geschichten von mutigen, mit Sicherheit nicht unfehlbaren, Protagonisten, die zu Recht schon ihren Weg auf die Leinwand gefunden haben und Filmemacher zu spannenden Werken inspiriert haben. Zum Beispiel den Italiener Gianfranco Rosi, der nun für seinen Dokumentarfilm „Fuocoammare“ den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat.
Auf der anderen Seite widmet sich das Kino – auch das ist symptomatisch – der Vergangenheitsbewältigung: Das fing letztes Jahr an mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ und wird nun fortgeführt mit Hans Steinbichlers „Das Tagebuch der Anne Frank“. Es ist nicht die erste Verfilmung dieses Dokuments von Verfolgung und Schrecken. Für seine Adaption setzte der Regisseur auf radikale Subjektivierung – passend zum persönlichen Format des Tagebuchs.
Etwas weniger weit in die Vergangenheit greift „13 Hours: The Secret Soldiers of Benghazi“: Der Film erzählt die Rettung von US-Diplomaten aus Libyen, als sie im Jahre 2012 angegriffen wurden. In den USA stieß der Film auf gemischte Kritiken und auch sonst erinnert der Plot ein wenig an „Argo“ – ein großartiger Film, aber eben auch gut gemachte Anti-Iran-Propaganda. Das ändert nichts daran, dass man diesen Film unbedingt sehen sollte: Hier wird Geschichte auf Leinwand projiziert, das ist immer spannend.
Libyen ist zerbombt – mission accomplished! – nun stellt sich die Frage, „Where to Invade Next“. Die stellt Michael Moore in seiner gleichnamigen Doku. Der umstrittene Filmemacher reiste dafür auch in arabische Länder und verglich die soziale Lage dort mit der in seiner Heimat – was zu unerwarteten Einsichten führte.
Wenn wir an Schrecken und Terror denken, müssen wir weder in die Zeit der Anne Frank zurückgehen oder nach Libyen reisen – es reicht eine Zugfahrt nach Köln. Daran erinnert Andreas Maus‘ „Der Kuaför aus der Keupstraße“, der die Folgen des Nagelbombenanschlages von Nazi-Terroristen in dem türkischen Kölner Viertel rekonstruiert.
Auch ums Thema Vergangenheitsbewältigung kreist das Drama „Grüße aus Fukushima“, das von der letzten Geisha der atomverseuchten japanischen Stadt handelt – die auf gar keinen Fall ihre Heimat verlassen will.
Ach ja, und natürlich kämpft diesen Monat auch Batman gegen Superman. In Anbetracht der Lage ist das zwar, frei nach Brecht, bloß ein Reden über Bäume – aber immerhin verdammt coole Bäume. Mit Superkräften.
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