Der Franzose AnthonyPastor siedelt seine Geschichte um ein paar in der Wüste gestrandete Frauen im Süden der USA an. Die schwangere Rosa wird in den Trailerpark „Las Rosas“ gebracht, aber die Namensübereinstimmung bleibt nicht die einzige Überraschung. „Ein Tortilla-Western“ steht auf dem Einband, und tatsächlich fängt Pastor die glühende Hitze seines Neon-Western gekonnt ein. Der dünne Strich lässt die Bilder wie in gleißendem Licht erscheinen, während das Drama seinen Lauf zu nehmen scheint (Schreiber & Leser). Mit „drüben!“ legte Simon Schwartz sein autobiografisches Debüt vor, in „Packeis“ erzählt er die spannende Geschichte eines fast vergessenen, schwarzen Polarforschers im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Geschichte von Matthew Henson erzählt Schwartz in Rückblenden, und er verbindet die realen rassistischen Anfeindungen, denen sich Henson ausgesetzt sieht, mit den mystischen Erfahrungen im ewigen Eis. Ein souverän erzähltes und stilistisch klares Werk (avant verlag). „Ein philosophisch pornografischer Sommer“ ist der sperrige Titel der leichtfüßigen Geschichte des Kanadiers Jimmy Beaulieu. Zwar verzettelt er sich auf den knapp 300 Seiten etwas mit dem einen oder anderen Handlungsfaden. Der Hauptstrang in einem alten, abgelegenen Hotel ist in seiner spielerischen Erkundung der Begierde aber gelungen und erinnert angenehm an einen Film von Eric Rohmer (Schreiber & Leser).
Nach „Das Ende der Welt“ arbeiten Pierre Wazem und Tom Tiraboscoauch für „Im Dunkeln“ wieder zusammen. Die surrealen Ereignisse um die Erlöschung des Tageslichtes verbinden sich mit der Geschichte von Zwillingsschwestern, die ein Geheimnis umgibt. Die weichen Kohlezeichnungen stehen im Kontrast zu der psychischen Anspannung in der Geschichte – die Bedrohung wirkt selten existentiell, eher traumhaft (avant verlag). Einen ähnlichen Balanceakt zwischen Realismus und Surrealismus wagt Anton van Hertbruggen mit seinem Leporello „Memoires of a suburban Utopia“. Sein auf 2,60 Meter ausfaltbares Bild eines in den Wald mündenden Vorortes zeigt ein von irrealen Momenten durchzogenes Alltagsleben. Aber auch die statischen Alltagsszenen sind von irritierender Art und erinnern an die illuminierten Fotokästen eines Jeff Wall. Die Rückseite zeigt eine Nachtszene mit fantastischem Sternenhimmel (rotopolpress).
Zeitungscomics haben in den letzten Jahren auch in Deutschland eine Renaissance erlebt. Dem Abdruck von Klassikern wie Peanuts oder Garfield sind ausgewählte Aufträge an junge deutsche Zeichner gefolgt. „Das Inferno“ von Michael Meier erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau, jetzt liegen die von Dantes „Göttlicher Komödie“ inspirierten Geschichten als Sammelband vor. Die Not zum Abschlussgag führt auch mal zu kleinen Bruchlandungen, aber insgesamt ist sein Update gelungen: In dieser Hölle tauchen Berlusconi, der Papst und andere Bekannte auf – am Ende gibt es sogar eine Führung mit Audioguide via iPhone. Die so schönen wie grausamen Zeichnungen sind für einen täglichen Strip überraschend aufwändig (rotopolpress). Thomas Wellmans von Descartes Meditationen inspirierten „Renés Meditationen“ erschienen kurz nach Meiers Inferno im Sommer 2011 ebenfalls in der Frankfurter Rundschau und sind zeichnerisch wesentlich spartanischer. Der denkende Bär René schwankt zwischen der Einfalt von Winnie Puuh und Descartes philosophischen Spaziergängen. Im Gegensatz zu Descartes merkt er am Ende, dass sein Kartengebäude zusammenbricht, wenn man einige der Prämissen nicht anerkennt. Was bleibt, ist ein nachdenklicher, aber nicht vergeudeter Sommer eines Bären (rotopolpress).
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