trailer: Wie sah euer Leben vor dem Krieg aus?
Gwana Hasso (GH): Wir hatten eine ganz normale Kindheit. Alles war bunt und schön. Schon seit ich denken kann, hatte ich Shevin an meiner Seite. Seit der ersten Klasse sind wir Freundinnen. Wir waren nicht reich, aber wir waren glücklich. Es war alles perfekt.
Shevin, wie war dein Leben vor dem Krieg?
Shevin Youssef (SY): Es war schön, die Familie zu sehen. Unsere Tanten sind immer in den Ferien gekommen. Die Schule war auch okay und ich hatte Gwana. Wir waren unzertrennlich.
Was hat sich dann geändert?
GH: Am 18. März 2011 gab es zum ersten Mal einen Stromausfall. Meine Oma hat damals gesagt, dass sich vieles ändern werde. Und es hat sich viel geändert. Man hat es nicht gesehen, aber man wusste, dass viel los ist. Man wusste, dass man nicht mehr in Sicherheit lebt. Das Gefühl war ganz schrecklich als Kind, dass man weiß, dass es nicht mehr sicher ist.
Wusstet ihr, dass ein Krieg ausgebrochen ist?
SY: Man hat es uns gesagt. Aber ich wusste nicht wirklich, was das heißt. Wir waren in der vierten Klasse. Meine Tante hat mir gesagt, dass in einem Jahr bestimmt wieder alles gut sein wird – und wenn nicht nächstes Jahr, dann übernächstes Jahr. Das ist jetzt über acht Jahre her. Als ich klein war, haben meine Eltern immer die Nachrichten geguckt und immer wenn sie gelacht haben, wenn etwas lustiges passiert ist, habe ich gefragt „Ist der Krieg zu Ende?“ Die Antwort war immer „Nein“. Mit den Jahren habe ich die Hoffnung fast verloren.
Was habt ihr direkt mitbekommen?
GH: Es war während eines Stromausfalls, nicht lange nach dem ersten: Es gab nichts außer Kerzen, die geleuchtet haben. Wir waren trotzdem glücklich und unsere Oma hat uns immer Geschichten erzählt. Das war immer sehr schön und beruhigend. Man hätte glauben können, dass man sich diese Atmosphäre freiwillig gemacht hätte. Es war manchmal echt gemütlich. Das lag daran, dass unsere Eltern alles gemacht haben, damit wir dieses Kriegsgefühl nicht haben. Gegen neun Uhr abends haben wir dann laute Geräusche gehört, die auch sehr nah waren. Damals ist mein Vater rausgegangen und hat nachgeguckt, was passiert war. Wir wohnten in der Nähe der Grenze zur Türkei. Manche Menschen haben versucht, illegal die Grenze zu überschreiten. Türkische Grenzsoldaten haben die Menschen getötet. Das war das erste, was wir direkt mitbekommen haben. Wir wohnten in einer Umgebung, wo jeder jeden kannte. Man hat sich immer gegenseitig beschützt, egal ob Kurde oder Araber. Danach hat sich vieles geändert. Von da an musste jede Nacht jemand, auch mein Vater, wach bleiben und in der Straße aufpassen, dass nichts passiert.
Wie kam es zur Entscheidung, zu flüchten?
GH: Mein Vater hat in einem Kosmetikladen gearbeitet. In der Nähe gab es einen Bombenanschlag. In dem Moment war mein Vater aber gerade nicht in seinem Geschäft. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ausgegangen wäre, wenn er in dieser Stunde nicht weg gewesen wäre. Als mein Onkel, der seit 25 Jahren in Deutschland wohnt, davon gehört hat, hat er meinem Vater gesagt: „Das war ein Zeichen, dass du nicht mehr da sein darfst.“ Es gab damals auch viele Fälle, wo Kinder entführt wurden.
Wie verlief eure Flucht?
GH: Im Juli 2014 sind wir mit einem Auto in die Türkei gefahren. Die Frage war, ob wir dort überhaupt ankommen. Wir mussten durch viele Städte. Jede Stadt war von jemand anders besetzt, zum Beispiel von Assad oder vom IS. Assads Soldaten konnten wir Geld geben. Dann haben die uns durchgelassen. Junge Männer vom IS haben Autos angehalten und man wurde gezwungen, auszusteigen und zu beten. Wenn derjenige nicht so gebetet hat, wie sie es wollten, dann bedeutete das für ihn das Ende seines Lebens. Davor hatten wir am meisten Angst. Bevor wir durch das IS-Gebiet gefahren sind, haben wir eine Burka angezogen. Die IS-Männer hatten einen langen Bart und Schwerter in der Hand. Wir wurden gefragt, wo wir hin wollen. Wir sagten „In die nächste Stadt. Zu einer Beerdigung.“ Die Antwort war „Viel Glück noch“. Ich weiß nicht, was in dem Moment war. Aber ich glaube seitdem an Wunder. Der nächste Wagen hat es nicht überlebt. Wir haben die Schüsse gehört. Wir haben zwei Monate in der Türkei bei einem Freund meines Vaters gewohnt und haben es von dort nach Deutschland geschafft.
Shevin, wie war es bei dir?
SY: Ich habe auch mitbekommen, dass viele Bomben geworfen wurden. Wir wussten nie wann und wo. Die Unsicherheit war eigentlich das Schlimmste: nicht zu wissen, ob man den Tag überlebt, wenn man morgens aufsteht. Ich wusste nur, dass ich in Sicherheit bin, wenn wir flüchten. Mein Vater wollte eigentlich nie aus Syrien weg. Er wollte seine Heimat, seine Eltern und seine Geschwister nicht verlassen. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Er hat es 2014 nach Deutschland geschafft. Ein Jahr später durften meine Mutter und ich nachkommen. Im November 2015 sind wir am Flughafen in Düsseldorf angekommen.
Wie kam es, dass ihr euch wieder getroffen habt?
GH: Bevor Shevin nach Deutschland kam, wusste ich, dass ihr Vater in Deutschland ist. Dann haben wir ihn zufälligerweise bei einem Amt getroffen als wir unsere Flüchtlingstitel beantragt haben. Das war eine schöne Überraschung. Er hat uns aber nicht erzählt, dass geplant war, dass der Rest der Familie auch noch nachkommt. Ich stand mit Shevin in Kontakt und habe ihr gesagt „Oh mein Gott, ich habe deinen Vater gesehen. Habt ihr auch vor, zu kommen?“. Sie sagte „Nein, natürlich nicht“. Dann irgendwann hat sie angerufen und fragte „Weißt du, wo ich bin? Ich bin in Düsseldorf“. Da habe ich erst mal einen Moment gebraucht. Das war sehr schön.
SY: Ich wollte Gwana überraschen. Ich habe es selbst nicht geglaubt, dass ich auf einmal ich in Deutschland war.
GH: Es war morgens. Ich war noch nicht richtig wach und dann bekomme ich so eine Nachricht. Das war die schönste Nachricht, die ich bekommen habe, seit ich in Deutschland war.
Was waren eure ersten Eindrücke von Deutschland?
GH: Kalt. Nicht nur vom Wetter her. Ich hatte dieses warmherzige Gefühl nicht. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich jetzt eine Ausländerin bin und, dass ich die Sprache nicht sprechen kann. Ich wusste, dass ich fremd bin und ich hatte das Gefühl, dass ich komisch angeguckt werde.
Hast du diesen Eindruck noch immer?
GH: Nein. Zum Beispiel in der Schule fühle ich mich sehr gut. Manchmal fühle ich mich auch nicht mehr fremd. In anderen Momenten aber schon. Mit der Schule hatten wir zum Beispiel einen China-Austausch. Wir durften jemanden aufnehmen. Aber als Flüchtling durfte ich nicht nach China. Und manchmal wird man auf der Straße schon noch komisch angeguckt. Ich habe schwarze Haare und bin auch nicht so hell. Kurz nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin hat eine alte Frau an einer Bushaltestelle zu mir gesagt „Ihr Ausländer, kommt ja nur hier hin um Sachen kaputt zu machen“. Die Frau wurde dann aber auch nicht nett angeguckt. Aber rassistische Menschen gibt es noch immer.
Shevin, wie waren deine ersten Eindrücke?
SY: Ich habe mich gefreut. Deutschland ist ein großes, schönes Land. Hier haben wir Sicherheit. Ich fühlte mich so sicher, dass ich geschlafen habe und dachte, dass ich die Türe auflassen oder auf der Straße schlafen kann. Ich dachte mir „Es kann nichts passieren“. Ich wusste, dass wir in Ruhe schlafen können. In Syrien hat man nachts immer etwas gehört. Aber ich dachte auch „Diese Sprache werde ich niemals sprechen können.“ Ich habe die Häuser gesehen. Sie sehen ganz anders aus als in Syrien. Es war ein ziemlich komisches Gefühl zu realisieren, dass ich jetzt hier lebe. Inzwischen ist es mein Alltag geworden. Ich laufe jeden Tag durch diese Straße.
Gwana, fühltest du dich auch sicher?
GH: Theoretisch ja. Es gab keine Stromausfälle und keine Wasserausfälle. Es gab Ernährung und ein Dach über dem Kopf. Aber ich fühlte mich auch unsicher, weil ich nicht wusste, was die Zukunft bringt. Die ersten drei Jahre waren die härtesten, weil man nie sicher war, ob man hier angenommen wird und den Aufenthaltstitel als Flüchtling bekommt. Man musste immer damit rechnen, dass man nicht hier bleiben darf.
Habt ihr Negatives erlebt?
GH: Einer aus meiner Klasse meinte: „Irgendwo hat die AfD ja schon recht. Die ganzen Flüchtlinge kommen und wir müssen für sie arbeiten“. Dann hat aber ein anderer gesagt „Kannst du bitte mal still sein? Wenn du nicht weißt, woher diese Menschen kommen und was sie erlebt haben, dann kannst du das nicht beurteilen.“ Viele Menschen denken, dass, man einfach keinen Bock mehr auf Syrien hat und einfach nach Deutschland geht und Geld bekommt.
Als wir nach Deutschland kamen, wurden wir gut aufgenommen. Viele fanden es spannend, dass wir aus einem anderen Land kommen. Aber irgendwann war die Reaktion eher „Du bist ein Mädchen, aus dem Land, aus dem noch ganz viele hier sind.“ Es gab Vorurteile: „Du bist aus Syrien. Du bist kriminell. Du hast eine Bombe in deiner Tasche.“ Oft waren es die gleichen Menschen, die plötzlich ganz andere Denkweisen haben.
Haben dabei auch die Geschehnisse in Köln aus der Silvesternacht 2015/2016 eine Rolle gespielt?
GH: Vor diesem Fall war man der arme Flüchtling: „Lasst ihm helfen.“ Nach diesem Fall wurde man als krimineller Mensch angesehen.
Was ist eure Meinung zu kriminellen Geflüchteten?
SY: Das sind sehr undankbare Menschen. Sie bekommen eine zweite Chance auf ein sicheres Leben geschenkt. Sie könnten tot sein, aber wollen immer mehr. Ich finde es besonders schlimm, wenn sie das tun, weil viele Menschen denken, dass wir alle so sind.
Seid ihr politisch interessiert?
GH: Ich bin gegen Politik, weil ich der Meinung bin, dass mir Politik meine Heimat kaputt gemacht hat. Trump, Putin, Assad und das alles ist Politik. Politik des Geldes. Es geht immer um Geld und politische Macht. Im Endeffekt sind immer Menschen, die nichts damit zu tun haben, das Opfer. Warum will jemand gewinnen, wenn er nicht gewinnen will, um seine Gesellschaft voran zu bringen? Politik ist nicht schlecht. Sie ist notwendig. Ich hätte gerne einfach nur ein bisschen mehr Menschlichkeit in der Politik.
Ihr scheint beide motiviert zu sein, das Beste aus euren Möglichkeiten herauszuholen. Wo nehmt ihr diese Motivation her?
SY: Als ich in Syrien in die siebte Klasse gekommen bin, wurde ich schlechter in der Schule. Mein Vater war nicht mehr da. Er hatte mir immer Mathe und Physik erklärt. Und ich konnte mir nicht mehr so mehr so viel Mühe geben. Die Atmosphäre war auch nicht die beste: kein Strom, nicht mehr viel Wasser – es war einfach alles grau. Als ich hier hingekommen bin, habe ich eine zweite Chance bekommen. Die Chance wollte ich nutzen. Ich hätte tot sein können. Ich mochte die deutsche Sprache. Es hat Spaß gemacht, deutsch zu lernen. Das war meine erste Motivation. Meine Eltern sind hier hingekommen um uns eine Zukunft zu bieten. Und jetzt möchte ich das Beste draus machen.
Was bedeutet euch die deutsche Sprache?
GH: Deutsch ist mein Lieblingsfach in der Schule und die Sprache, in der ich angefangen habe, Gedichte zu schreiben. Wenn man die Sprache von dem Land, in dem man wohnt, nicht spricht, ist es so, als würde man überhaupt nicht sprechen können. Es ist, wie wenn man taubstumm ist. Man weiß, was man sagen will, aber kann es nicht. Daher kommt die Motivation, die Sprache zu lernen: um sprechen zu können. Die Sprache lernen ist das wichtigste, was man in einem fremden Land tun muss.
SY: Als ich hier angekommen bin, fand ich die Sprache schön. Und ich glaube, wenn man etwas mag und will, dann schafft man das auch locker.
GH: Locker? (lacht)
SY: Mir war es sehr wichtig, die Sprache zu lernen, weil ich hier lebe und hier auch die nächsten Jahre verbringen werde.
Woran denkt ihr beim Wort „Heimat“?
SY: Sehnsucht. Wenn ich an meine Heimat denke, denke ich an Sehnsucht.
GH: Es ist das Land, in dem ich glücklich war. Ich hatte nicht alles, aber ich hatte ein Glücksgefühl, das man niemals kaufen kann. Da ich in dem Land ein Kind war, kannte ich die bösen Seiten der Welt nicht.
Gibt es eure Heimat noch?
GH: Für mich wird sie niemals sterben. Ich habe immer ein Foto aus meiner Heimat bei mir. Für mich wird sie niemals weg sein. Auch wenn es sie auf der Weltkarte irgendwann nicht mehr gibt, wird sie immer in meinem Herzen sein.
Ist Heimat ein Ort oder die Erinnerung?
GH: Beides. Gäbe es diesen Ort in Syrien nicht, dann wäre die Erinnerung in meinem Herzen nicht entstanden. Für mich ist meine Heimat nicht nur ein Punkt auf einer Karte, sondern viel mehr: mein Glück. In meinem Kopf ist es das ideale Bild von zu Hause. Viele Menschen, die ich da hatte, habe ich hier nicht – nicht nur weil sie nicht hier wohnen, sondern auch weil sie nicht mehr leben. Dort kannte ich das Gefühl nicht, einen Menschen nicht mehr in meinem Leben zu haben.
Das liegt vielleicht daran, dass ich meine Kindheit da verbracht habe und meine Jugend hier. Wenn ich meine Jugend auch da verbracht hätte, wäre es vielleicht nicht so. Ich weiß es nicht. Aber ich hatte meine Kindheit dort und es war gut.
Glaubt ihr, dass Deutschland auch eine Heimat für euch werden kann?
SY: Ich träume noch immer oft von Syrien. Wir unterhalten uns über die schönen Momente dort. Ich habe sie damals gar nicht so richtig geschätzt. Ich war klein, alles war schön und ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht. Die Momente bleiben im Herzen, aber diese Zeit ist vorbei. Ich bin oft traurig, weil die Zeit schön war.
Aber ich habe hier auch eine: Ich habe hier meine Jugend verbracht. Seit fast vier Jahren lebe ich in Bochum. Ich habe sehr viele Erinnerungen, Erfahrungen und Orte hier. Ich finde schon, dass es hier meine zweite Heimat ist. Ich kenne mich hier in Bochum aus.
GH: Man weiß nie, was mit der Zeit passiert, aber ich glaube nicht, dass ich mal fühlen werde, dass hier meine Heimat ist. Heimat ist für mich der Ort, wo ich glücklich war und wo mich mein Zuhause aufbaut und nicht ich mein Zuhause aufbaue. Hier musste ich mir als Teenager ein Zuhause aufbauen. In meinem Alter, machen Leute hier ganz andere Sachen. In Ihrer Freizeit müssen sie nicht zu Ämtern und zur Ausländerbehörde, Formulare ausfüllen, Dinge beantragen oder mal eben etwas für die Eltern übersetzen. Darum ist mein Zuhause das, was mich aufbaut und mich zu dem macht, was ich bin, aber nicht das, wo ich mir ein Zuhause aufbaue.
Kann Deutschland denn ein Ort werden, an den ihr nach Hause kommt?
GH: Ich habe eben gesagt „Ich war erst gestern Abend in Hagen.“ Ich habe nicht gesagt „Zuhause“. Ich kann das noch nicht. Vielleicht kommt das mit der Zeit.
SY: Wenn ich in anderen Städten war und nach Bochum zurückkomme, dann ist es zwar nicht der Ort, wo ich geboren bin, aber ich freue mich, dass ich wieder in meiner Stadt bin. In den vier Jahren bin ich sehr gewachsen. Ich habe mich verändert. Ich habe sehr viel erlebt. Mein Teenagerleben habe ich hier in Bochum verbracht und ich glaube, das Teenagerleben ist das aufregendste. Meine Heimat bleibt meine Heimat. Aber ich fühle mich hier zuhause.
Gwana, kann Deutschland irgendetwas tun, in puncto Integration, damit du dich hier heimischer fühlst?
GH: Nein. Ich bin sehr, sehr, sehr dankbar, für das, was ich bekommen habe. Ich glaube auch nicht, dass man mehr machen kann. Ich habe hier sehr viele Chancen bekommen – mehr Chancen, als ich im Krieg hätte. Deshalb bin ich jeden Tag dankbar, dass ich hier leben darf. Man kann aber nichts Materielles tun, damit ein Gefühl kommt. Man kann auch Glück nicht mit Geld kaufen. Man kann reich sein, und trotzdem nicht glücklich. Integrationsprojekte können das Gefühl nicht bringen. Das muss von sich kommen.
Gwana, du schreibst an einem Buch. Worum geht es darin?
Es geht um Krieg und um Menschlichkeit. Mir geht es darum, dass man die Hintergründe versteht, warum so viele Menschen flüchten. Ich erzähle Dinge, die ich wirklich gesehen habe und die wirklich passiert sind: meine Biographie und kleine Geschichten, die anderen Menschen passiert sind.
Was hoffst du damit zu erreichen?
Ich hoffe erstmal, dass es gelesen wird und, dass ich andere dazu bringe, dass sie auch sprechen. Es gibt viele Menschen, die viel zu sagen haben, aber nichts sagen. Ich hoffe, dass, wenn sie das lesen, sie anfangen zu sprechen.
Dir ist auch die Rolle der Frau besonders wichtig. Warum?
GH: Die Stärke, der Frau wird immer unterschätzt – und leider in der Gesellschaft, aus der ich komme, mehr als hier, oder zumindest öffentlicher. Nur weil ich eine Frau bin heißt das nicht, dass ich mit 18 heiraten muss oder schon Kinder haben muss und dann nur noch im Haushalt arbeite. Nein, ich kann auch eine Anwältin oder Ärztin werden. Ich kann das sein, was ich will. Dafür brauche ich keinen Mann an meiner Seite. Es gibt leider immer noch Frauen, die selbst davon überzeugt sind, dass sie es nicht können. Der Mann ist gewohnt, dass er machen kann, was er will. Für mich ist Frau Merkel ein Vorbild: Sie ist eine Frau und hat ganz viel gemacht und ist selbständig und sagt und tut das, was sie will. Das beweist, dass eine Frau auch genau das machen kann, was ein Mann machen kann. Das ist aber nicht jedem bewusst. Es geht mir um dieses Bewusstsein. Dann kommt das andere von alleine.
Was wünscht ihr euch für eure Zukunft?
GH: Ich erhoffe mir, dass ich den Punkt erreiche, an dem ich Deutschland meine Dankbarkeit zeigen kann und etwas zurückgeben kann und auch meinem Heimatland beistehen kann, wenn es mich braucht. Ich glaube nicht da dran, dass der Krieg ewig bleibt. Ich möchte für Deutschland etwas tun – aber auch für Syrien.
SY: Es ist mein Ziel, Architektin zu werden. Die werden in Syrien gebraucht, aber auch in Deutschland. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt: Vielleicht bin ich hier, vielleicht nicht. Und ich bin auch Deutschland sehr dankbar. Ich mache mir immer Gedanken, was ich tun kann, um mich zu bedanken. Deutschland ist nicht eine Person, zu der man gehen kann, Schokolade schenkt und „Dankeschön“ sagen kann. Ich habe mich immer gefragt, was man tun kann.
GH: Ich glaube, das kann man machen, indem man dieses Land auch weiter bringt. Ein Arzt hilft den Bewohnern – aber auch ein Kassierer: Jeder trägt dazu bei.
Wo seht ihr euch in fünf Jahren?
GH: In Deutschland, in einer WG mit Shevin. Wir möchten beide studieren. Das ist unser gemeinsamer Traum.
Und wo seht ihr euch in fünfzig Jahren?
SY: Ich möchte meinen Kindern was zu erzählen haben.
GH: Ich möchte mit meiner Familie sitzen können und sagen können „Ich hab’s geschafft“.
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