Die Ansprüche an den Orchestermusiker von heute haben sich stark verändert. Das sogenannte „Tuttischwein“, ein Geiger, der in die Masse seiner Stimmgruppe eintaucht und lässig mitschwimmt, den Dienst auf einer Backe absitzt, diese „Tierart“ ist bereits vor Jahrzehnten ausgestorben. Das liegt zum einen an den ständig wachsenden Musikerzahlen bei schwindenden Orchesterstellen, zum andern aber auch an den wachsenden Anforderungen an die Aufgaben der Musiker. Es ist nicht mehr die Musik allein, die geübt und dann nach persönlichem Rezept des Dirigenten im Live-Konzert abgeschmeckt wird. Die fehlende Akzeptanz der Klangkörper bei einer breiten jungen Bevölkerung und das Desinteresse der neuen Generationen an den klassischen Kulturtempeln haben die Orchestermanager aufgeschreckt: Was die Politik in der Schule versäumt hat, müssen jetzt die Orchestermusiker ausbaden, durch Vorspiele in Schulen, durch coole Flashmobs und Mitsingorgien in Sportarenen.
Einen atemberaubenden Musikerwettkampf kündigen in diesem Sinne die Cityring-Konzerte in Dortmund an, wo die ortsansässigen Philharmoniker in Trainingsanzügen antreten, um als musikalische Gladiatoren auf dem Dortmunder Friedensplatz aufzuspielen. Schwarzer Anzug und Krawatte bleiben diesmal im Schrank, denn die einzelnen Disziplinen fordern Beweglichkeit und langen Atem: Wer spielt am schnellsten, wer hält den Ton am längsten aus, wer erzeugt die höchsten Töne und wer die lautesten? Das sind natürlich Themen für die ganze Familie in einer sonntäglichen Matinee im größten Freiluft-Konzertsaal der Region, ein in diesem Sommer erstmals durchgeführtes Projekt, das nicht bei den Kindern haltmacht.
Am Abend der „morgendlichen Spiele“ treten Stars der Musicalbühne, Morgan Moody, Alexander Klaws und Patricia Meeden mit Klassikern von Cole Porter und neueren Songs aus „Bodyguard“ oder Elton Johns „Aida“ auf. Echte Opernarien inszeniert Chefdirigent Gabriel Feltz zum Auftakt in einer „Sommernacht der Oper“, wo die Dortmunder Philharmoniker konzertanten Beistand vom Opernchor erhalten. Dass hier auch die hervorragenden Solisten der eigenen Oper auftreten, stärkt die Bodenhaftung der Dortmunder Musiker ganz gewaltig. Die heimischen Opernstars dürfen im erlesenen italienischen Fach in Arien und Duetten von Verdi bis Puccini glänzen. Dass die Dortmunder aber auch nie den Zug zur Gegenwart verpasst haben, beweisen sie im Samstagskonzert „Groove Symphony“ mit Moonbootica feat. Miki Kekenj. Sie werden gemeinsam durch Soul, Elektro, Klassik und Hip-Hop den Platz in eine Disko verwandeln. Das klingt doch wirklich schrill, hip und nach Ohrstöpseln.
Cityring-Konzerte | 26.-28.8. | Friedensplatz, Dortmund | www.cityringkonzerte.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
„Sich über die Musik besser verstehen“
Der neue Generalmusikdirektor Tung-Chieh Chuang über Pläne mit den Bochumer Symphonikern – Interview 08/21
Wunsch nach „eingeschränktem Betrieb“
Offener Brief der Konzerthäuser
Mit weiblicher Inspiration
City of Birmingham Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 02/20
Gaudi mit Geist
Igudesman und Joo lehren Kreativität in Köln – Klassik am Rhein 12/19
Ein bisschen Spaß muss sein
Julia Jones dirigiert das Sinfonieorchester Wuppertal – Klassik an der Ruhr 12/19
Andere Konzerte zum Saisonende
Die Philharmonie Essen präsentiert das Besondere – Klassik an der Ruhr 07/19
Prominente Solistin
Sabine Meyer gastiert bei den BoSys – Klassik an der Ruhr 05/18
Vive la France
Das Klavier-Festival Ruhr startet eine französische Spielzeit – Klassik an der Ruhr 04/18
Blick zurück, Blick voraus
Die Essener Philharmoniker umzingeln Tschaikowski – Klassik an der Ruhr 02/18
Die Trommel ruft
Bochum eröffnet die Spielzeit mit Pauken und Becken – Klassik an der Ruhr 01/18
Rebellen und Revoluzzer
In Herne poltert die Alte Musik – Klassik an der Ruhr 11/17
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23
Mode und Stil
Tage Alter Musik 2023 in Herne – Klassik an der Ruhr 11/23
Aus dem Mekka der Saitenkunst
Die Kronberg Academy im DLF-Kammermusiksaal – Klassik am Rhein 10/23