Ereignisse häufen sich an Ereignisse: Auf die Weimarer Republik folgt Hitlers Machtergreifung, darauf schließlich der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. Bevor die Fronten des Ost-West-Konflikts zum Mauer-Bau führen. Ja, Berlin ist ein Schauplatz der Weltgeschichte. Daher lässt Erik Schmitt die historischen Momente in einer lärmenden Montage Revue passieren. Und daher lässt er all diese Artefakte zu einem Geschichtsberg akkumulieren, der in „Cleo“ zu einem verrückten Abenteuer einlädt.
Herausgekommen ist eine knallbunte Berlin-Hommage, die der Regisseur im Essener Filmstudio Glückauf präsentierte. „Berlin strotzt ja vor Mikrogeschichte“, erzählte er. „Das haben wir phantasievoll zusammengeführt.“ Und zwar zu einem schrillen Genre-Mix: Mockumentary-Elemente zu Beginn, dann wieder Abenteuer-Spektakel und Zeitreisen-Verwicklungen, schließlich wieder Romanze. Pate stand „Die fabelhafte Welt der Amélie“, in der Audey Tautou ein archaisch-märchenhaftes Paris der Ausgegrenzten durchstreift.
Zur Preview erschienen auch die beiden HauptdarstellerInnen Marleen Lohse und Jeremy Mockridge. Und Lohse, die die titelgebende Hauptprotagonistin Cleo gibt, spielte nach der Vorstellung auf einer Gitarre ihre Version des Songs „Wonderful Life“, den sie für den Soundtrack beisteuerte.
Ihre Figur ist magisch und tragisch zugleich mit Berlin verbunden. Geboren wird sie in der Nacht des 9. Novembers, in der die Mauer fiel. Ihr Vater verunglückt einige Jahre darauf, als er sich mit Cleo auf eine Schatzsuche begibt. Doch statt auf Gold stoßen sie auf eine alte Blindgänger-Bombe. Auch in der erwachsenen Cleo, die für ein Tourismus-Unternehmens namens „Berlin Safari“ jobbt, schlummert die Seele der Stadt. Denn sie sieht Geister.
Dass ihr ausgerechnet die Spukgestalten von Albert Einstein und Max Planck begegnen, liegt zwar auch daran, dass beide Physiker zeitweilig in Berlin forschten. Es liegt aber auch an Eisensteins Relativitätstheorie, die in „Cleo“ als Zeitreise-Motiv auftaucht. Diese Wendung ergibt sich, (ohne zu viel zu verraten) nachdem sich Cleo mit der Zufallsbekanntschaft Paul (gespielt von Jeremy Mockridge) auf Schatzsuche in die Tiefen Berlins begibt. Der Schatz liegt ausgerechnet unter dem Teufelsberg, unter dem eine alte Nazi-Universität verschüttet liegt.
Ein Schlüssel, der die festgefahrene Zeit aufsprengt? Klingt nach Meister Hora. Und Regisseur Erik Schmitt erwähnt an diesem Mittwochabend auch, dass ihn Michael Endes „Momo“ über die Zeit-Diebe inspirierte. „Die innere Welt hält uns und die Gesellschaft am Leben“, so der Filmemacher über seine Hauptfigur, die irgendwie Kind geblieben ist. So verwandeln sie im Film Berlin zum Spiel- und Abenteuerplatz, der bis in die Bunkerwelten reichte.
Und über die Dreharbeiten in Berlins Unterwelt konnten sie nach der Vorstellung alle Anekdoten erzählen. Etwa über die Enge, tief unten, bis sie sich nur noch zu Dritt durch die Gänge robben konnten. „Das habe ich in der Schauspielschule nicht gelernt“, scherzte Lohse. Jeremy Mockridge erwähnte hingegen eine skurrile Unterwelt-Begegnung: „Genau da, wo wir drehen wollten, war eine fette Techno-Party.“ 50 Drehtage sind es am Ende geworden, in denen sie die Hauptstadt spielerisch erkundeten. Ganz wie die titelgebende Figur.
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