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Lutz Frühbrodt
Foto: Johannes Untch

„Bedenkliche Marktkonzentration bei Regionalzeitungen“

25. Oktober 2018

Medienexperte Lutz Frühbrodt über die Finanzierung von kritischem Journalismus

trailer: Herr Frühbrodt, ist der unabhängige Journalismus in einer digitalen Strukturkrise noch zu retten?
Lutz Frühbrodt: Ohne Frage hat die Digitalisierung der Medien die klassischen Finanzierungsmodelle über Verkauf und Werbung torpediert, allerdings den Journalismus insgesamt. Vor allem die größeren, überregionalen Medien haben darauf reagiert, indem sie eigene Investigativ-Ressorts auf- und ausgebaut haben. Das soll ihr Alleinstellungsmerkmal stärken.

Ist dieser Plan aufgegangen?
Noch nie gab es solch eine kritische Berichterstattung wie heute. Die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Medien kommen weniger von den neuen Technologien, sondern von autoritären und extremistischen Kräften, die Kritik verhindern wollen.

Welche Finanzierungsmodelle für unabhängigen Journalismus gibt es?
Das Modell des klassischen Medienunternehmens wird weiter die Branche beherrschen. Es haben sich inzwischen aber einige Alternativen ausgebildet: Medienmacher und Mediennutzer haben gemeinsam Genossenschaften gegründet. Und Einzelprojekte werden über Crowdfunding finanziert, bei denen Förderer mit teils sehr unterschiedlichen Summen darüber entscheiden, was gemacht wird und was nicht.

Dürfen die genossenschaftlichen Modelle als basisdemokratisch gelten?
Von wenigen Ausnahmen abgesehen dominiert in der Regel ein Mix aus diesen neuen Finanzierungsformen. Und meist sind auch noch die alten dabei: Die taz verkauft ja schließlich ihre Zeitung weiterhin. Von einem basisdemokratischen Revival möchte ich nicht sprechen, aber immerhin sehen wir da ein zartes Pflänzchen langsam aufblühen.

Wie sieht es mit Stiftungen aus, die in anderen Feldern eine wichtige Rolle spielen?
In der Tat gibt es in Deutschland rund 21.000 Stiftungen. Ganze 85 davon fördern einige journalistische Projekte finanziell und vergeben Reisestipendien. Paradoxerweise unterstützen die meisten jedoch die kritische Recherche mit Journalistenpreisen. Wenn ein freier Journalist einen solchen Preis gewinnt und damit eine Prämie von 3000 oder 5000 Euro kassiert, dann ist ihm oft erstmal ganz gut weitergeholfen.

Förderung durch Unternehmensstiftungen und gesellschaftliche Verantwortung, die sog. Corporate Social Responsibility (CSR) – lässt sich das vereinbaren?
Wenn ein Ölkonzern die Recherchen über Elektromobilität fördern würde, dann wäre dies natürlich brandgefährlich. Einige unternehmensnahe Stiftungen wie zum Beispiel Mercator oder Schöpflin fördern aber Projekte, die überhaupt nichts mit ihren unternehmerischen Aktivitäten zu tun haben, sondern schlicht und einfach dem Gemeinwohl dienen. Wenn es Unternehmen mit CSR wirklich ernst meinen, dann könnten sie doch auch verstärkt investigativen Journalismus fördern. Und wenn jemand Geld hat, dann Unternehmen und ihre Stiftungen.

Gibt es Vorzeigeprojekte?
Gefördert werden vor allem Politik-, Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalismus. Das große Vorzeigeprojekt heißt ohne Frage Correctiv. Das Redaktionsnetzwerk mit Standorten in Essen und Berlin hat mit mehreren Rechercheprojekten für Furore gesorgt. Ich denke da beispielsweise an die Story über gepanschte Krebsmedikamente in Bottrop.

Ist der Ausspruch des Publizisten Paul Sethe aus den 1960er Jahren noch gültig, Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten?
Allerdings! Vor einigen Jahrzehnten waren es noch einige große Verlegerfamilien, die den deutschen Printmedienmarkt beherrscht haben. In den vergangenen Jahren hat es aber eine extrem starke und bedenkliche Tendenz zu einer weiteren Marktkonzentration gegeben, vor allem bei den Regionalzeitungen.

Wie gefährlich ist das?
Das Pressefusionsgesetz macht Übernahmen von Zeitungen wettbewerbsrechtlich schwerer als in anderen Branchen. Mein Eindruck ist aber, dass das Bundeskartellamt dieses Gesetz in den vergangenen Jahren deutlich milder interpretiert hat. Wenn in zehn Jahren alle Regionalzeitungen aber nur noch zur Funke Mediengruppe aus Essen, zu Madsack aus Hannover und zu Mediengruppe Pressedruck in Augsburg gehörten, dann wäre dies sicher nicht gut für die öffentliche Meinungsbildung und damit unsere Demokratie.

Kommen kritische Stimmen öffentlich genügend zu Wort, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen?
Da sehe ich ehrlich gesagt keine besonders große Gefahr. NGOs finden bei den klassischen Medien meist gut Gehör. Kritischer sehe ich die Entwicklung, dass Unternehmen zunehmend ihre eigenen digitalen Medien aufbauen und dabei zum Teil auch recht heftig gegen Umweltschützer oder Pharma-Kritiker agitieren.

Öffentlich-rechtliche Medien haben einen ausdrücklichen demokratischen Auftrag. Auch Zeitungen wie Zeit oder Süddeutsche erheben mit Formaten wie „Deutschland spricht“ bzw. „Democracy Lab“ diesen Anspruch. Erfolgreich?
ARD und ZDF bilden aus meiner Sicht einen demokratischen Felsen in der autoritären Brandung. Sie müssen dazu aber auch so weit wie möglich frei von Einflüssen des Staates und der Parteien arbeiten können. Damit steht und fällt ihre Glaubwürdigkeit bei den Bürgern. Die genannten Dialog-Initiativen sind sehr löblich in Zeiten, in denen immer weniger Menschen zum Zuhören bereit sind. Aber ob sie allein die öffentliche Diskurs-Kultur zum Guten wenden mögen, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen.

Die Schweiz war kurz davor, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen. Eine Ausnahme?
Die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht nur in der Schweiz, sondern auch in einigen anderen Ländern angezählt worden. Zum Beispiel in Dänemark. Auch in Deutschland nehmen einige politische Kräfte ARD und ZDF ins Visier. Deshalb sollten diese auch ihren Informations- und Bildungsauftrag noch stärker und besser wahrnehmen und nicht so stark auf Unterhaltung setzen. Nur die Glaubwürdigkeit im Kerngeschäft stärkt ihre Legitimation – vor allem in der breiten Bevölkerung. Ihre Gegner werden sie eh nicht überzeugen können.

Wie bedeutsam schätzen Sie den Einfluss der Medien auf Politik und Gesellschaft ein? 
Der Einfluss der Medien ist enorm. Wenn es heißt, „wir leben heute in einer Mediengesellschaft“, dann bedeutet dies: Unser Bild von der Politik, von der Kultur, vom Sport, quasi von der gesamten Welt wird von Medien geprägt. Früher waren es nur die Massenmedien Print, Radio und Fernsehen, heute bestimmen zusätzlich unzählige Online-Portale und nicht zuletzt die sozialen Medien wie Facebook oder Instagram unsere Wahrnehmung und oft auch unser Verhalten.

Früher gab es vergleichsweise übersichtliche Informationsquellen. Heute kann jeder einen Blog schreiben. Befördert das die Meinungsfreiheit?
Bei dem Thema Meinungsfreiheit geht es oft in erster Linie wirklich nur um die eigene Meinung, die man in die Welt hinausposaunen will. Deutlich seltener um zusätzliche Informationen, die über das hinausgehen, was die klassischen Medien geliefert haben und die obendrein relevant und vor allem auch wahr sind. Das Internet hat ohne Frage die Meinungsvielfalt stark erhöht. Aber es kursieren halt viele Falschmeldungen, die erfunden werden mit einer ganz bestimmten Absicht: der Meinungsmache. Für die Mediennutzer heißt es deshalb: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Bei fremden Quellen also immer checken, wer dahintersteht!

Befördert der mediale Konkurrenzkampf Selbstinszenierung und Aufmerksamkeitshascherei? Oder gehört das schon immer zum Tagesgeschäft?
Skandalisierung, Inszenierung und Wirklichkeitsverzerrung hat es schon immer gegeben. Das ist das Geschäftsmodell von Boulevardmedien wie Bild oder den Medien der Regenbogenpresse wie Das neue Blatt. Aber es ist in der Tat über die Jahre immer schlimmer geworden: Denn wer sich im unendlichen Internet-Universum Gehör verschaffen will, muss besonders schrill schreien können. Nicht umsonst reden wir von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. War das jetzt laut genug?


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