Dass die Frage von Wohnen, Leben und Gemeinschaft eine der existenzialistischsten Angelegenheiten überhaupt darstellt, können wir derzeit im deutschen Reality TV bestaunen, genauer gesagt in dem Format „Newtopia”, das seit Anfang Februar täglich auf SAT.1 ausgestrahlt wird.
In der Sendung geht es um die ganz große Frage: Wie wollen wir leben? Oder genauer: Wie organisiert eine Gruppe von Menschen ihr Zusammenleben von Grund auf neu, wenn sie auf keine Gewissheiten bauen kann? Gemeint ist das ganz praktisch, immer wieder wird per Einspieler „der Traum von einer besseren Welt“ beschworen. In den Niederlanden avancierte das Format zu einem Quotenhit, nun also soll sich der Erfolg in Deutschland wiederholen.
Auf der einen Seite ist Newtopia mit all dem Kitsch und den Pathosformeln natürlich ein großer voyeuristischer Unfug, wie man ihn von derartigen Formaten kennt. Es wird viel gebrüllt und gestritten. Man kann die Sendung jedoch auch als Symptom einer umfänglichen Krise von Urbanität und Wohnen, ja von Gesellschaft und Kapitalismus insgesamt lesen.
Auf eine interessante Weise trifft die Sendung einen Nerv, auch wenn weder klar ist, ob sich die Produzenten dieser Tatsache bewusst sind, noch ob sich der Erfolg des Formats hierzulande wiederholen wird. Die Zeichen indes stehen gut in einer Zeit, in der ein Begriff wie Gentrifizierung in den allgemeinen Sprachgebrauch überführt wurde. Man sorgt sich über steigende Mieten, führt Mietpreisbremsen ein und diskutiert nervös über das Wegbrechen der Mittelschicht und über die Dichotomie zwischen arm und reich.
In seiner 1979 gehaltenen Antrittsvorlesung am College de France („Wie zusammen leben“) beschrieb der französische Philosoph Roland Barthes, inwiefern sich in der Schnittstelle zwischen Mensch und Raum das Verhältnis zur Macht definiert. Dem Diktat der Globalisierung wollte er schon damals das Mondäne einer frei wirkenden Gemeinschaft entgegensetzen – auch hier, natürlich, eine Utopie. Wie wir zusammen leben, das ist die zentrale Frage jeder Gesellschaft und folgen wir Roland Barthes nach, befinden wir uns gerade eindeutig in einer Krise, deren neuestes Symptom „Newtopia” heißt.
Was kann man über eine Zeit sagen, in der das zweitmeist verkaufte Buch der Welt, nach der Bibel, der IKEA Katalog ist? Die Frage nach dem Wohnen ist im Kern wohl auch eine theologische, es geht um Heil und Erlösung, sie ist die Grundlage jedes gelingenden Lebens. An der Art und Weise, wie Menschen ihre Umwelt gestalten, bemisst sich der Zustand einer Gesellschaft. Nicht umsonst gelten die batterieförmigen Plattenbauten der DDR noch immer als unmittelbarer Ausdruck ihres Scheiterns, und wie schaut es heute aus?
Eine Antwort darauf weiß gewiss auch „Newtopia“ nicht zugeben, auch wenn die Kandidaten sich regelmäßig, beinahe herrlich naiv, selbst darauf einschwören, hier tatsächlich die Formel für eine bessere Welt zu finden. „Let's make a story to tell“ heißt es in der Anfangsmusik der Sendung optimistisch, erwarten wir aber besser nicht zu viel.
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