trailer: Frau von Friesen, die Bedeutung von Vätern für die Erziehung wurde lange Zeit vernachlässigt. Warum?
Astrid von Friesen: Die Bedeutung des Vaters wurde bis zum zweiten Weltkrieg als sehr hoch eingeschätzt. Aber mit den Gräueltaten des Krieges wurde das Männerbild nachhaltig diskreditiert und ist bis heute hochproblematisch geblieben. Durch das Erstarken der Frauenbewegung in den 70er Jahren ist außerdem die Meinungs- und Deutungshoheit in den Familien den Frauen zugefallen. Die Frauen, die extrem feministisch waren, sind größtenteils nach dem Krieg selbst ohne Vater aufgewachsen und unbewusst zu dem Schluss gekommen: Wir brauchen keine Männer. Das hält bis heute an, wir haben keine Definition von positiver Männlichkeit und leider auch keine wirksame Männerbewegung, die wirklich breitenwirksam über eine neue Definition von Männlichkeit diskutiert.
Welche Rolle spielen Väter in der kindlichen Entwicklung?
Ich als Tiefenpsychologin gehe davon aus, das Väter genauso wichtig sind für die Entwicklung von Kindern, wie die Mütter. Wir sind eben so angelegt, dass wir, wie Yin und Yang, Weibliches und Männliches in uns tragen, und für beides brauchen wir Identifikationspersonen. Das sind in der Regel die leiblichen Eltern, aber es können natürlich auch andere sein, wie etwa Stiefeltern. Aber das brauchen wir. In dieser Konstruktion leben wir seit Adam und Eva und der Mensch ist in seiner Seele nun mal sehr konservativ.
Was unterscheidet Väter und Mütter?
Väter sind in der Regel klarer, weniger emotional und oft auch konsequenter. Das ist von Anfang an wichtig, aber in den zweiten zehn Jahren ist der Vater fast wichtiger. Denn er ist dafür zuständig, die Kinder in die Welt hinaus zu begleiten und ihnen Mut zu machen, zu sagen: Ja, du kannst auf diesen Baum klettern, ja, du kannst von dieser Mauer springen, ja, du kannst schon alleine mit der Straßenbahn fahren. Der Vater lockt das Kind praktisch aus der Symbiose mit der Mutter heraus, in der es die ersten Jahre verbracht hat, löst sie aus dem häuslichen Umfeld und ist dafür verantwortlich, ihnen eine positive Welterfahrung zu verschaffen
Unterscheidet sich diese Bedeutung für Jungen und Mädchen?
Natürlich. Für Mädchen sind sie wichtig, um ein positives Männerbild zu entwickeln. Für Jungen ist die männliche Identifikationsperson in jeder Entwicklungsphase bedeutsam, besonders wenn sich mit etwa sechs Jahren die sexuelle Identität heraus bildet. Sie brauchen dieses positive Identifikationsbeispiel, an dem sie sehen, wie sie ihre Sexualität ausleben können, das kann keine Frau ersetzen.
Wie wirkt es sich auf die Entwicklung von Kindern aus, wenn sie ganz ohne Vater-Figur aufwachsen?
Wir wissen aus Langzeitstudien aus den USA dass in Familien, in denen es keine Männer gibt, keine kontinuierlichen Vaterfiguren, dass die Erziehung der Söhne dort oft katastrophal endet. Nach diesen Studien sind etwa 80 Prozent aller jungen Kriminellen, der jungen Drogensüchtigen und der Mädchen, die im Teenageralter schwanger werden, ohne Vater aufgewachsen. Es gibt auch Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass auch die Bindung der Mutter an das Kind unsicherer wird, wenn kein Mann im Haus ist. Denn der Vater ist absolut nötig, um der jungen Mutter den Rücken zu stärken. Eigentlich braucht es ein ganzes Dorf, doch zumindest zwei Personen, um ein Kind gesund aufwachsen zu lassen!
Kinder können ihre Väter auf verschiedene Weise verlieren. Macht das Wie des Verlustes einen Unterschied aus?
Auf jeden Fall. Männer die gestorben sind, dürfen von ihren Kindern auch geliebt werden. Aber in Scheidungsfällen, in denen die Kinder in der Regel bei der Mutter bleiben, werden die Väter, nicht selten alle Männer, von den Müttern gegenüber ihren Kindern oft verunglimpft und schlechtgemacht. Diese Mütter hindern ihre Kinder oft daran, regelmäßigen Kontakt zu ihren Vätern zu haben – erpressen sie teilweise sogar emotional, indem sie zum Beispiel sagen: „Wenn du deinen Vater besuchst, habe ich dich nicht mehr lieb.“ Aber damit schaden sie vor allem dem Kind, denn es wird psychologisch zerrissen. Ich habe sehr dafür gekämpft, dass PAS – das ‚Parental Alienation Syndrome‘ – als eine Form von Kindesmisshandlung in den Katalog der psychiatrischen Kinderkrankheiten aufgenommen wird.
Gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen leiblichen Vätern und Stiefvätern?
Das kann man schwer generalisieren. Es macht natürlich einen Unterschied aus, ob ein neuer Mann zu einem frühen Zeitpunkt in die Familie kommt und auch bleibt, oder ob die Mutter alle paar Monate mit einem neuen Partner nach Hause kommt. Ein neuer Partner kann für die Kinder in die Vater-Rolle hineinwachsen, wenn die Eltern klug agieren – wenn der Stiefvater sich einbringt, Liebe anbietet und auch ohne die Mutter etwas mit ihnen unternimmt. Dann sollte zwischen den Partnern auch geklärt werden, wer in welchem Ausmaß Erziehungsaufgaben übernehmen soll – ob der Stiefvater zum Beispiel auch mal schimpfen darf. Im Allgemeinen aber rate ich immer dazu, den Kindern im ersten Jahr der Trennung, d.h. im „Trauerjahr“, keinen neuen Partner zuzumuten. Und wenn die Frauen dann einen neuen Partner finden, sollten sie diesen erstmal ganz in Ruhe über einen Zeitraum von etlichen Monaten kennenlernen, bevor sie ihn ihren Kindern präsentieren. Und zwar immer mit der Botschaft: Ich liebe ihn, aber er ist nicht dein Vater, dein leiblicher Vater wird immer dein Papa bleiben.
Wie sehen aus ihrer Sicht die Erfolgschancen von Patchwork-Familien aus?
Wenn der neue Partner selbst eigene Kinder mit in die Verbindung bringt, dann wird es noch einmal komplizierter. Neid und Eifersucht gibt es auch unter normalen Geschwistern, aber in so einer Konstellation zwischen unfreiwillig zusammengebrachten Stiefgeschwistern entstehen diese sehr leicht. Es geht dabei vor allem um Loyalität und die Fragen der Erziehungsgewalt. Das muss alles haarklein geklärt und abgesteckt werden, am besten in einer Familienkonferenz – wer wem Rechenschaft schuldet, wer wen erziehen darf, wer welche Aufgaben übernimmt. Das ist eine hochproblematische Situation, die von frischverliebten Partnern oft unterschätzt wird. Ich bin mir sicher, wenn eine Patchwork-Familie mit sechs Stiefgeschwistern nach wenigen Monaten in den Urlaub fährt, beginnt das Hauen und Stechen. Und die meisten Eltern sind natürlich loyal zu ihren eigenen Kindern. Daran gehen viele neue Familien und Beziehungen auch wieder kaputt. All das ohne Beratung zu bewältigen, ist eigentlich nicht zu schaffen.
Lassen sich Erziehungsdefizite durch äußere Maßnahmen kompensieren, etwa durch staatliche Unterstützung?
Natürlich kann die Vaterlosigkeit auch kompensiert werden, etwa durch anwesende Großväter oder auch Onkel, die sich liebevoll um die Kinder kümmern und ihnen Halt geben. Und natürlich können auch Lehrer oder Erzieher diese Rollen für die Kinder teilweise erfüllen. Aber in den Kitas und Grundschulen arbeiten nun mal zu 95 Prozent Frauen. Und man merkt es den Kindern an: Wenn es doch mal einen männlichen Erzieher in einer Kita gibt, kleben die kleinen Jungen geradezu an ihm, die haben einen regelrechten Vaterhunger. Diese weiblich dominierten Räume sind für sie einfach keine adäquate Welt. Es bleibt letztlich dabei, wenn einem Kind in seiner frühkindlichen Entwicklung ein Elternteil fehlt, bleibt seine Seele zu 50 Prozent unterernährt.
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