Zigtausende LeserInnen haben schon Romane aus der Feder Anna Baseners gelesen – aber nur ein Teil ihrer Leserschaft wird das wissen und ein noch kleinerer dies auch öffentlich eingestehen, denn: Anna Basener ist die Verfasserin unzähliger Heftromane und hat hier unter wechselnden Pseudonymen vom schwülstig-adeligen Fürstenroman über Heimatschmalz und romantischer Mystery bis zum Sexwestern so ziemlich jedes Genre bereits bedient. Sie veröffentlichte mit dem Ratgeber „Heftromane schreiben und veröffentlichen“ ein Standardwerk über diesen Literaturzweig und finanzierte sich mit den Einnahmen der literarischen Serienproduktion das Literaturstudium in Hildesheim. Nach eigenen Angaben verabschiedete sich Basener 2013 vom Groschenroman – wobei man nie weiß, wer sich hinter all den klingenden Pseudonymen auf den barocken Titelbildern verbirgt. Viele ihrer aktuellen Veröffentlichungen erscheinen immer noch unter Pseudonym, es handelt sich um Krimis, historische Romane und Erotik im E-Book-Sektor. Doch für eine Absolventin des renommierten Hildesheimer Literaturinstituts wäre es ungewöhnlich, wenn nicht doch irgendwann der literarische Output unter eigenem Namen ins Licht der Öffentlichkeit treten würde. Nach Essays in Business Punk und Vice ist nun druckfrisch ihr erster „richtiger“ Roman erschienen: „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ erschien im Eichborn Verlag und führt weit weg von heiler Bergwelt und Fürstentümern mitten hinein ins Milieu und ins Ruhrgebiet.
Nische oder überlaufen
Lange Zeit war das Bild des Ruhrgebiets in der Literatur geprägt durch Ralf Rothmann, der mittlerweile eher distanziert auf das Revier blickt, auf der einen und Frank Goosen, der mit gewissem Stolz die Rolle des hier nicht Wegkommenden einnimmt, auf der anderen Seite. Nun scheint sich aktuell eine Reihe von AutorInnen einer jüngeren Generation des Ruhrgebiets anzunehmen. In den letzten Monaten stellten wir bereits Sarah Meyer-Dietrich vor, die in die 90er Jahre im Revier zurückblickt, sowie Martin Becker, der die Seele seiner Heimat unter Tage sucht. Die Essener Autorin Anna Basener verquickt nun das alte Ruhrgebiet mit dem aktuellen Berlin. Auf die Frage, ob das Ruhrgebiet nun doch so langsam seine literarische Nischenrolle verliert, antwortet die Autorin: „Bei literarischen Orten hab ich eher das Gefühl, dass sie kaum anders können. Sie sind immer entweder Nische (Ruhrpott, Bayern, Nordseeküste) oder völlig überlaufen wie Berlin, wo es dann zu jeder Messe vierzig Berlinromane gibt. Aber vielleicht ist Nische auch das falsche Wort, wenn man ein Ballungsgebiet wie den Ruhrpott thematisiert, der ja fast doppelt so viele Einwohner hat wie Berlin. Ob es Texte aus und über den Ruhrpott über die Grenzen NRWs hinweg schaffen, beachtet zu werden, hängt allerdings eher von Lesern, Trends, Stimmungen, Zeitpunkt ab als von Autoren. Für uns ist es einfach ein spannendes Thema, besonders, wenn es unsere Heimat ist.“
Stilistisch geht Basener dabei ein großes Risiko ein, denn mit der titelgebenden „Omma“ hält ein munterer Ruhrpottslang Einzug in den Roman. „Das war eine Herausforderung“, gesteht die Autorin und gewährt Einblick in ihre Überlegungen: „Welche Figur spricht wie viel Dialekt? Wie schreibt man das überhaupt auf? Wie viel Binnen-S kann man reinbringen, aus jedem J ein G machen? Wie verwende ich die Fälle? Es gibt ja keinen Duden, der für Ruhrdeutsch verbindlich ist. Ich wollte nicht so starken Dialekt schreiben wie in ‚Anita Drögemöller‘, das ist selbst mir zu unleserlich. Aber am Ende ist man als Autor ja derjenige mit Autorität. Ich hab das dann einfach nach einigem Rumprobieren entschieden. Und ja, vielleicht stößt das den ein oder anderen, der nicht von hier ist, vor den Kopf, aber alle kann man ja nie begeistern. Der Preis scheint mir ok, dafür hat das Schreiben im Dialekt und die Arbeit mit Ruhrdeutsch und seiner Grammatik zu viel Spaß gemacht.“
Mit Omma unterwegs
Und was liegt näher, als das Hörbuch von Gerburg Jahnke einlesen zu lassen, die als eine Missfits-Hälfte schon vor Jahrzehnten die Ruhrpott-Omma gab, die kein Blatt vor den Mund nahm. „Das hat der Verlag entschieden“, gesteht Basener. „Ich hab davon erst erfahren, als sie schon gebucht war, aber mich natürlich wahnsinnig gefreut. Sie ist schon lange eine meiner Heldinnen, und jetzt bin ich sehr aufgeregt, sie nächste Woche persönlich kennenzulernen.“
Apropos Heldinnen: Wo liegen Anna Baseners literarische Vorbilder? Und hat sie Kontakte zur Ruhrgebiets-Literaturszene? „Ich habe keine Vorbilder. Es gibt Texte und Autoren, die ich sehr mag oder auch bewundere. Aber ich eifere niemandem nach, ich arbeite daran, meinen eigenen Ton für jeden Text zu finden. Da ich schon so lang nicht mehr in Essen lebe, habe ich keine Kontakte zur Literaturszene im Ruhrgebiet. Ich kenne natürlich Frank Goosen, aber selbst ihn hab ich in Berlin kennengelernt. Ich hoffe, dass sich das bald ändert, wenn ich jetzt mehr im Ruhrpott mit der Omma unterwegs bin, und ich ein bisschen eintauchen kann in das, was hier geht. Denn das ist überfällig!“
Beim Stichwort „überfällig“ geht dem leseaffinen Ruhrgebietler gerne das Thema Literaturhaus durch den Kopf, das zwar in Herne und Dortmund lokale Ausprägungen erlebt, aber von einer überregionalen Strahlkraft noch lange nichts ahnen lässt. Wäre angesichts der Dichte an Universitäten nicht auch so etwas wie das Literaturinstitut in Hildesheim für das Ruhrgebiet wünschenswert? „Darüber hab ich noch nie nachgedacht“, räumt Basener ein, freundet sich aber schnell mit dem Gedanken an: „Ich finde, dass das eine großartige Idee ist. Ja, unbedingt. Das würde der Region und der Literatur gut tun!“
Was auf den Roman nun folgt, hält die Autorin in der Schwebe: „Der nächste Poproman, noch ein bisschen Hörspiel… aber das braucht alles noch Zeit, jetzt bekommt erst Mal die ‚Omma‘ meine volle Aufmerksamkeit. Ich lese den ganzen Mai im Ruhrpott in verschiedenen Buchhandlungen, mache Presse und reise mit dem Buch.“ Wer bei Lesungen nicht nach dem üblichen autobiografischen Bezug fragt, bekommt vermutlich auch Fragen zu Taubenzucht und Prostitution beantwortet – doch von Vögeln soll an dieser Stelle nicht die Rede sein.
Anna Basener: Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte | Eichborn Verlag | 316 S. | 16,90 €
Lesungen:
4.5. 19.30 Uhr | Ruhrtalbuchhandlung, Schwerte
11.5. 20 Uhr | zu Gast bei Goosens Neue Bücher, Kammerspiele Bochum
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